Gedichtbände

Gereimter Nervenkitzel

Seit Gottfried August Bürger im Jahre 1773 mit seiner "Lenore" die Mutter der deutschen Schauerballaden präsentierte und seinen Zuhörern den einen oder anderen wohligen Schauer über den Rücken jagte, erfreute sich dieses Genre größter Beliebtheit. So stand der Herausgeber der bei dtv erschienenen "Schaurig-schönen Balladen" sicherlich vor der Qual der Wahl, als es darum ging, welche Gedichte Eingang in das Buch finden sollten. Mit den ausgewählten 42 Balladen hat Walter Hansen jedenfalls eine bunte Mischung zusammengestellt und keinen Fehler gemacht.

So bittet er in fünf Abteilungen, in denen sich neben altbekannten Klassikern auch weniger bekannte Werke großer Dichter oder noch weniger bekannte Volksballaden finden, zur poetischen Geisterstunde. Den Auftakt bildet das Kapitel "Von Geisterstund und Totentanz", in dem Johann Wolfgang von Goethes "Totentanz" selbstverständlich nicht fehlen darf. Aber nicht nur auf Friedhöfen wird von Zeit zu Zeit ein gruseliges Spektakel veranstaltet, auch alte Dome und Burggemäuer geben prächtige Kulissen für mitternächtliche Spukeinlagen ab.

"Von Hexenkunst und Geisterreitern" handelt dann der zweite Abschnitt, der neben Bürgers "Lenore" und Eduard Mörikes "Feuerreiter" auch mit Walpurgisnacht und Hexentanz aufwartet. Das dritte Kapitel "Von Moorgespenstern und Wassernixen" stellt anschließend die Unheimlichkeit der Natur in den Mittelpunkt, wie sie zum Beispiel Annette von Droste-Hülshoffs "Knabe im Moor" erlebt oder in Goethes berühmtester naturmagischer Ballade "Der Erlkönig" zur Darstellung gelangt. Die vierte Abteilung widmet sich schließlich "Zauberei und Rattenfängern", wie demjenigen von Hameln oder der Lorelei, die Eichendorff und Heine in ihren Dichtungen besingen.

Den Abschluss bildet letztlich das Kapitel "Von Frevelei und Höllenfahrt", in dem vornehmlich menschliche Schwächen und Laster sowie vollständiges Versagen und deren üble Folgen angeprangert werden. Da kann man schon einmal die rächende Schattenhand eines ermordeten Königs im Nacken spüren oder sich mit einem etwas mulmigen Gefühl zur Nachtruhe betten.

Alles in allem liefern die von Walter Hansen zusammengetragenen "schaurig-schönen Balladen", die ihrer Betitelung wahrlich vollkommen gerecht werden, ein kurzweiliges Lesevergnügen. Besonders geeignet sind diese Gedichte für den effektvollen Vortrag in geselliger Runde an langen dunklen Wintertagen, auch dann, wenn man nicht, wie Bürger es für seine "Lenore" empfiehlt, mit einem Totenschädel aufwarten kann. Schließlich hört nicht nur Wilhelm Busch "gern von Spukedingen", oder?

Christian Götz
25.01.2010

 
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Das Buch:

Walter Hansen (Hg.): Schaurig-schöne Balladen

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München: dtv 2010
144 S., € 6,90
ISBN: 978-3-423-13841-3

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