Gedichtbände

Absichtsvolle Annäherung

Sowas ist in keinem Eingangsbereich, in keiner Großbuchhandlung zu finden. Sowas kommt selten in eine Buchhandlung. Sowas ist das, was sich renommierte Verlage generell vom Halse halten. Sowas ist vor allem Sache der kleinen und kleinsten Verlage: Sowas wie "Skeptische Zärtlichkeit." Ein Buch, das Ulf Großmann und Axel Helbig herausgegeben haben und das eine Vers-Sammlung ist, die "Junge deutschsprachige Lyrik" vereint. Mit dem wohlmeinenden Anspruch junge deutsche Lyrik unter die Leute zu bringen, halten auch andere Lyrik-Editionen des Jahres Ausschau. Wem da vertrauen? Wem da was abnehmen?

"Skeptische Zärtlichkeit" ist im Leipziger Literaturverlag erschienen. Der Verlag versteht sich als Vertreter und somit Verteidiger der Versliteratur. Die neue Ausgabe ist der 33. Band der Reihe "neue Lyrik", die mit ihrer Vermehrung mehr und mehr ein Ort der Entdeckungen wird. Für Entdecker und Entdeckungen ist "Skeptische Zärtlichkeit" geradezu ein Fund. Die Herausgeber widmen ihre Publikation "Den unentwegten Lesern deutscher Lyrik". Das ist ambitioniert, überaus ambitioniert, und unterscheidet sich nicht von den Ambitionen anderer. Inwiefern ist die Widmung wirklich gerechtfertigt?

Die Herausgeber haben sich zu einem dualistischen Publikationsprinzip durchgerungen. Mehr oder weniger bekannte Poeten sprechen über die Poesie meist wenig bekannter Lyriker. Also gibt's was von Kurt Drawert über Sepp Mall und etwas von Sepp Mall zu lesen. Also etwas von Brigitte Oleschinski über Monika Rinck und etwas von Monika Rinck. Also etwas von Jan Wagner über Steffen Popp und etwas von Steffen Popp. Also etwas von Ron Winkler über Sonja Harter und etwas von Sonja Harter. Es ist klar, wer da auf wen aufmerksam macht, wer wen mitzieht. Die Essayisten strengen sich an, ihre Handreichung zu einer hilfreichen Handreichung zu machen. Wie das aber schaffen und zugleich ein Helfender und Zurückhaltender zu sein? Ehrgeiz und Eitelkeit der Essayisten sind nicht immer im Einklang. So vorrangig die Hilfestellung ist, so wenig Zurückhaltung gibt es gelegentlich in dem Eifer, sich selbst einen Kranz als Essayist zu flechten.

Das erinnert an jene Professoren, die im Seminar nicht das Thema gelten lassen, sondern ihren Ehrgeiz, sich zum Thema zu äußern. Wie da ein vorsichtiger, verständnisvoller, verständnisgebender Vermittler sein und bleiben? Ein Vermittler, der sehr wohl weiß, dass Lyrik ohnehin immer ein literarisches Experiment ist. Nicht nur, wenn Lyrik experimentelle Lyrik ist. Die Texte sind dann hilfreich und gut, wenn ihre Verfasser sich selbst nicht als Mittelpunkt sehen. Die Lyriker und die Leser sind der Mittelpunkt. Und der Tatsache ist schwer gerecht zu werden, weil das die doppelte Verantwortung der Vermittler ist, also etwas Anstrengendes. Mancher Text ist in manchen Passagen nur anstrengend. Schlimm wär's! Darunter litten die Lyriker, für die zuerst diese ungewöhnliche Lyrik-Edition da ist.

Alles, was man sofort denkt und sagen möchte, wenn einem eine Publikation wie "Skeptische Zärtlichkeit" unter die Augen kommt, sagt Jayne-Ann Igel im Nachwort. Am besten also mit dem das Buch anfangen, wenn man es aufschlägt.

Bernd Heimberger
14.12.2009

 
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Das Buch:

Ulf Großmann und Axel Helbig (Hg.): Skeptische Zärtlichkeit. Junge deutschsprachige Lyrik

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Leipzig: Leipziger Literaturverlag 2009
202 S., € 29,95
ISBN: 978-3-866-60077-5

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