Erzählbände & Kurzprosa

Willkommen in Putingrad - Hintergründiges und Abgründiges zu Geschichte , Gesellschaft und Politik

Ausgewählte Ausschnitte aus der Chronik des heiligen Nestor geben zu Beginn einen Überblick über die älteste russische Geschichte zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert. In jeweils kurzen Zusammenfassungen, sogar lyrisch aufbereitet, kann man der Entwicklung und Vergrößerung des Reiches mit seinen unterschiedlichen Herrschern und ihren noch unterschiedlicheren Methoden (Politik, Kriege und wechselnde Religionen) folgen und sich einen ersten Eindruck über "das Russland von damals" verschaffen.

Und es waren drei Brüder … Wie der erste Teil beginnt auch der zweite Teil der Historie. Es sind aber dieses Mal keine leiblichen Brüder wie bei der Gründung der Stadt Kiew, mit der alles seinen Anfang nahm, sondern diese drei eint die Symbiose der Macht: Lenin, Stalin und … Putin. Dabei tritt Stalin als Geist von Putins Oheim auf und schildert, wie er - ohne Rücksicht auf Verluste - seine Machtstellung erlangt hat. Er gibt dem jungen Putin Ratschläge, wie auch er ihm eines Tages nachfolgen kann. Bekanntlich ist Putin in die Fußstapfen eines seiner Vorgänger getreten und dabei nicht gerade zimperlich gewesen. Manche brutale Vorgehensweisen erinnern durchaus an den ersten Teil. Für seine Politik wurde Putin sogar mit den Dresdner Dankesorden belohnt - was nicht nur beim Autor, einem Kind dieser Stadt, größtes Unverständnis und Missfallen hervorruft. Dieser Vorgang ist noch des Öfteren ein Thema. Am Ende sieht er Putin als neuen Namensgeber der sächsischen Landeshauptstadt - aus Dresden wird Putingrad - und als Herrscher Wladimir I. in einem neuen Reich EURASIA. Damit schließt sich der Kreis der russischen Geschichte.

Unter der Überschrift "Bangster" rechnet der Autor entlarvend und schonungslos - wieder in Versform - mit dem menschenverachtenden Finanzwesen ab. Es ist schon erstaunlich, wie viel Aussagekraft sich in wenigen treffenden Worten wiederfinden kann - und dann noch in Reimen!

Der "Medienkönig" thematisiert die Probleme und parteiübergreifenden Querelen bei der Aufklärung des Nationalsozialistischen Untergrunds im Bundesland Sachsen. Das "Land am äußeren unteren rechten Rand" ist dabei nur eines von zahlreichen gelungenen Wortspielereien.

Die "Einsichten" bieten eine weitere Vielfalt an gelungenen Versen über die unterschiedlichsten Personengruppen, Persönlichkeiten, Städte und Institutionen durch überraschende Schlusspointen.

Der "Traktat über ein Plagiat" befasst sich mit der Dankesrede des frisch gekürten Bundespräsidenten Joachim Gauck vor der Bundesversammlung 2012. Nach Ansicht des Autors hat Gauck leider die Chance vertan, aus seiner Rede mit der Überschrift "Was für ein schöner Sonntag!" mehr zu machen. Er hätte seinen Ausführungen mit Bezug auf die gleichnamige Autobiografie von Jorge Semprún einen entsprechenden Spannungsbogen geben und damit auf die hohe Verantwortung der Politik hinweisen können, die sie heute in der Zeit der schlimmsten Finanzkrise tragen. Der Autor zieht andere Politiker und Ökonomen zum Vergleich heran, die mutiger waren und ihre Haltung mit Amtsverlust beziehungsweise Hohn und Spott bezahlen mussten, aber recht behielten.

Bei "Werden wir eine Zukunft haben?" geht es um den ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf: Während er im Fall Karl-Theodor zu Guttenberg, der - allerdings spät - eigene Fehler eingeräumt hat, mit seinen Äußerungen nicht Gnade vor Recht ergehen lässt, scheint er bei Stanislaw Tillich, der schwerwiegende Vorwürfe zu seiner politischen Vergangenheit vehement bestreitet, auf beiden Augen blind zu sein. Zum Abschluss lässt der Autor während seines Aufenthalts in Sibirien einen befreundeten Tschetschenen zu Wort kommen, der aus seiner Sicht die grausamen Geschehnisse in seinem Heimatland unter dem Einfluss Russlands, darunter auch Putin, schildert.

Die Scharfsinnigkeit des Autoren lässt sich bei all seinen Darlegungen der Verhältnisse in Politik und Gesellschaft nicht verleugnen. Seine harsche Kritik und sein Unverständnis sind stets begründet und nachvollziehbar, weil die Hintergründe entsprechend beleuchtet und belegt werden. Wer sich für (zeit-) geschichtliche und politische Hintergründe - oder sollte man fast schon Abgründe sagen? - interessiert, für den ist dieses Buch eine wahre Fundgrube.

Andreas Berger
23.03.2015

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Rudolf Peter Wachs: Es waren drei Brüder

CMS_IMGTITLE[1]

Frankfurt: Fouqué Literaturverlag 2015
107 S., € 12,40
ISBN: 9783837216257

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.