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Leben im Schatten von Missbrauch

Margret Ochmann erzählt die authentische Geschichte zweier Frauen, deren Familienleben auf tragische Weise durch die langfristigen Folgen des sexuellen Missbrauchs der Mutter beziehungsweise der Großmutter geprägt wurde. Die Autorin ist bereits mit "Schweigen ist eine Wüste" und "1977- und viele Tage und Nächte" als Schriftstellerin hervorgetreten.

Welche Auswirkungen hat sexueller Missbrauch auf nachfolgende Generationen, das heißt auf Kinder und Enkelkinder des eigentlichen Opfers? Dieser Frage möchte Margret Ochmann anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte und derjenigen ihrer Freundin Lucia Heil nachgehen. Die beiden Frauen lernten sich während einer Gruppentherapie kennen, an der sie beide, unter Depressionen und Burn-Out leidend, teilnahmen. Schnell stellten sie fest, wie sehr sich ihre Lebensgeschichten doch glichen. Beide hatten sie ihr Leben lang unter einer übergroß und omnipräsent erscheinenden, emotional manipulativen Mutterfigur zu leiden gehabt. Und beide wussten sie, dass diese Mutterfigur- die leibliche Mutter im Falle von Margret Ochmann, die Großmutter im Falle von Lucia Heil- in frühen Jahren sexuell missbraucht worden war. Auch wussten sie beide, dass ihre leidvollen Erfahrungen, dass all die negativen Erlebnisse mit diesen Mutterfiguren ihren eigentlichen Ursprung in dieser Missbrauchserfahrung hatten, die die Mutter beziehungsweise die Großmutter nie wirklich verwinden konnte. Erstaunt mussten sie aber auch feststellen, wie wenig sich die therapeutische Wissenschaft bisher mit diesen langfristigen Folgen sexuellen Missbrauchs auseinandergesetzt hatte. Das brachte sie auf die Idee, ihre eigenen Erlebnisse niederzuschreiben, um so anderen Betroffenen wie auch den professionell mit dieser Thematik befassten Fachleuten eine Handreichung zu geben:

"Dieses Buch ist für Menschen, die ihres Berufes wegen helfen können, und ein Buch von Betroffenen für Betroffene. Aus diesem Grund können wir keine speziellen Hilfen anbieten, nur Erfahrungen zum Ausdruck bringen, um der Welt zu zeigen wie groß und schwer der zu tragende Schmerz und das viele Leid sind, dass noch mehrere Generationen nach dem Erst-Missbrauch zu tragen haben. Es soll Aufruf und Anstoß sein, diese klaffende Lücke zu schließen."

Dabei bedient sich die Verfasserin eines literarischen Kniffes: Gerade weil sich ihre eigene Lebensgeschichte und die ihrer Freundin so sehr gleichen, dass sich anhand beider Lebensgeschichten gewissermaßen archetypisch die negativen Erfahrungen nachfolgender Generationen darstellen lassen, hat sie entschieden beide Erzählungen zu einer einzigen, halb-fiktiven Ich-Erzählung zusammenzufassen. Auf diese Weise besitzt dieser Bericht auch über die Darstellung des Einzelfalls hinaus Relevanz.
Die Beschreibung, wie sich das unverarbeitete Trauma auch über die erste, das heißt die eigentliche Opfergeneration fortsetzt, sofern dieses unverarbeitet bleibt, ist eindringlich und authentisch geschildert. Gerade darin liegt die eigentliche Stärke dieses Buches.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der eigentliche Hauptteil schildert in der eben beschriebenen, halbfiktionalen Weise die Lebensgeschichte beider Frauen. Im Schlussteil versucht die Autorin dann, ihre Erlebnisse und ihre weitere Familiengeschichte in der Form von "Briefen, die niemals abgeschickt wurden", aufzuarbeiten und sich und ihren eigenen Kindern und Enkelkindern verständlich zu machen.

Ganz im Sinne der Autorin, liegt dem Publikum mit "Ein grausames Vermächtnis" ein authentischer Bericht aus Sicht der Betroffenen vor. Es sei hiermit allen empfohlen, denen diese Problematik vertraut ist, sei es weil sie selbst betroffen sind, sei es weil sie beruflich mit damit zu tun haben.

Hugo Meyer
24.11.2014

Die Lesung im Deutschen Literaturfernsehen finden Sie hier.

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