Erzählbände & Kurzprosa

Eine Liebeserklärung an das Lesen

"Im Frühjahr 1998 kaufte Bluma Lennon in einer Buchhandlung in Soho eine alte Ausgabe der 'Gedichte' von Emily Dickinson und wurde an der nächsten Straßenecke, als sie gerade beim zweiten Gedicht angelegt war, von einem Auto überfahren." – Mit diesem ersten Satz seiner Erzählung "Das Papierhaus" steht Carlos María Domínguez eigentlich der erste Platz in der Hitliste der besten ersten Sätze eines Buches zu. Auch der darauf folgende zweite Satz steht dem nüchternen und dennoch wie eine Bombe einschlagenden ersten Satz in nichts nach: "Bücher verändern das Schicksal der Menschen". Schon nach der Lektüre dieser ersten Zeilen weiß der versierte Bücherwurm, welch Kleinod er mit "Das Papierhaus" in den Händen hält. Und die Geschichte geht genauso verschroben weiter, wie sie begonnen hat.

Bluma Lennon ist Literaturdozentin an der Uni Cambridge gewesen und letztendlich ihrer Leidenschaft für Bücher zum Opfer gefallen. Ihren Lehrstuhl übernimmt kurze Zeit nach ihrem Ableben ein männlicher Kollege, der Ich-Erzähler, den mit Bluma nicht nur die Liebe zur Literatur, sondern auch eine Affäre verbunden hat. Wenige Tage nach ihrem Tod erhält er einen an Bluma adressierten Umschlag, in dem ein Exemplar von Joseph Conrads Roman "Die Schattenlinie" steckt. Als er es aufschlägt, findet er darin eine Widmung von Bluma an einen gewissen Carlos, den sie in Monterrey getroffen hat. Warum dieses Buch, von dessen Umschlag seltsamerweise auch noch alter Mörtel bröckelt, nun wieder bei Bluma gelandet ist, kann sich der Ich-Erzähler nicht erklären.

Der junge Literaturdozent begibt sich, getrieben von Neugier, auf die Suche nach dem Absender des Umschlags und landet dabei in Uruguay. Dabei findet er nicht nur die Antwort auf seine Fragen, sondern muss auch erfahren, dass die Liebe zu Büchern manchmal ungeahnte Ausmaße annehmen kann und dass nicht nur Bücher das Schicksal der Menschen, sondern Menschen auch das Schicksal von Büchern verändern.

Die 2004 erstmals auf Deutsch erschienene Erzählung des argentinischen Autors ist nun vom Insel Verlag als illustriertes Geschenkbuch wiederaufgelegt worden. Das knapp 90 Seiten umfassende gebundene Buch mit Schutzumschlag wurde von Jörg Hülsmann eigens mit Illustrationen versehen, die unter anderem auf einer Landkarte den Weg, den der Ich-Erzähler von Cambridge nach Buenos Aires und weiter nach Uruguay genommen hat, nachzeichnen. Ganz im Sinne der Geschichte spiegelt diese schmucke Buchausgabe die Liebe zu Büchern und die Faszination, die von einem Buch – auch optisch und haptisch – ausgeht, wider. Denn wie formulierten es die Bibliophilen in "Das Papierhaus"? – "Man sollte daher niemals den Satzspiegel geringschätzen, ebenso wenig wie den Schriftgrad, die Randmaße, die Beschaffenheit des Papiers, die rechtsseitige oder mittige Seitennummerierung, all diese Details, aus denen das Gesamtbild entsteht."

Sabine Mahnel
10.11.2014

 
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Das Buch:

Carlos Maria Dominguez: Das Papierhaus. Aus dem Spanischen von Elisabeth Müller. Mit Illustrationen von Jörg Hülsmann

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Berlin: Insel Verlag 2014
92 S., € 12,00
ISBN: 978-3-458-17615-2

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