Erzählbände & Kurzprosa
Seemannsgarn?
In seinen autobiografischen Geschichten, Erzählungen und Anekdoten schildert der Autor Hans Günter Dönnecke das außergewöhnlich interessante, aber auch gefährliche Leben eines Seemanns bei der Deutschen Handelsmarine in den Jahren 1960 bis 1972.
Dönnecke wurde im August 1940 geboren und ist in Dinslaken, im Nordwesten des Ruhrgebiets aufgewachsen. Nach seinem Besuch des Goethe-Gymnasiums in Weimar und einer darauf folgenden Ausbildung als Maschinenbauer, verschlägt es ihn nach Hamburg. In der Folgezeit verbringt er zwölf Jahre bei der Handelsmarine. Anschließend folgte eine Tätigkeit als Schichtleiter in einer Kaffee-Firma in Bremen, in der er über zwanzig Jahre verbrachte. Nun widmet Dönnecke sich dem Schreiben und lässt dem Leser im vorliegenden Werk an seinem Leben auf See teilhaben.
"Ein Seemann erinnert sich. Erzählungen und Anekdoten" ist Ende August im August 2014 im August von Goethe Literaturverlag erschienen. In 27 Einzelgeschichten lässt der Ich-Erzähler seine Seemannszeit auf allen Weltmeeren Revue passieren und berichtet von mancherlei Abenteuern und Begebenheiten.
Im Alter von 19 Jahren erhält der Autor seinen ersten Heuervertrag für das Handelsschiff "Geheimrat Satori" von der Reederei Satori & Berger aus Hamburg. Sogleich wird er mit einer wundersamen Situation konfrontiert: Einer Ziegenschar, die auf dem Schiff transportiert werden sollte, wurden vom Schiffspersonal nachts die Hörner rot angestrichen, um den muslimischen Besitzer zu ärgern. Das Gegenteil trat jedoch ein. Der Ziegenhalter dankt Allah für das beeindruckende Wunder, denn keiner, außer ihm, hatte Ziegen mit roten Hörnern. Die Matrosen ärgerten sich und der Araber erfreute sich daran, dass seine Ziegen im Wert gestiegen waren.
So hat jede Geschichte ihren speziellen Reiz, einige sind so witzig, dass der Leser sich beim Lesen vor Lachen regelrecht schütteln wird. Um einige Beispiele anzudeuten: Dönnecke widmet dem gerissenen Schiffskater Anton ein eigenes Kapitel, der als Kosmopolit wohl auf mehr Handelsschiffen fuhr als irgendein Seemann auf dieser Welt. Die Erzählung "Der Irre von Hamburg-Ochsenzoll" handelt von einem monströsen Kraftpaket, das derart randalierte, dass es mit einem Narkosegewehr betäubt und in einen Tigerkäfig gesperrt wurde. Das Kapitel "Der alte Ketenburg" ist wegen seines hohen Unterhaltungswerts und seiner köstlichen Metaphern ein literarisches Meisterwerk. Die Geschichte handelt von einen störrischen und bösartigen Esel, der in einer Nacht- und Nebelaktion zu einem unliebsamen Schiffskollegen ins Zimmer gesperrt wurde.
Spannend wird es als eine 4800 t schwere Dynamitladung in Oman von einer Schar Muselmännern verladen werden sollte: "Sie saßen rauchend und nichtsahnend auf den hochexplosiven Dynamitkartons, weil sie glaubten es sei vielleicht getrockneter Mohn für die Ungläubigen." Im Kapitel "Der Sareng von Karachi" droht der Ingenieur-Assistent: "Sollte mein gestohlenes Feuerzeug und die 23 Dollar nicht den Weg in meine Kammer zurückfinden, werde ich dir krummbeinigem Scheißkerl beide Kniescheiben wegschießen und deine unnützen Eier gleich mit! Du kannst dann auf deinen Händen in die Toilette gehen und dich über deine Tränensäcke leer pissen!"
Die große Bewunderung Dönneckes für das damalige Hongkong, in dem er von einem Erdbeben überrascht wurde, bringt er in einer ausführlichen, respektvollen Hommage zum Ausdruck: "Die Chinesen haben hier in Hongkong eine hohe Lebenskunst entwickelt, da träumen wir Europäer nur davon. Ich war schon überall in der Welt, aber Hongkong ist unerreicht, es ist eine Perle des Lebens, als englische Kronkolonie eine Oase der Freiheit und des Reichtums, aber auch eine Konzentration von Kreativität, die nur Menschen entwickeln, die nicht in Knechtschaft oder in Diktaturen leben müssen!" Das ausführlichste Kapitel "Der Albtraum" gilt dem Nichtsnutz Jonny Hormann, dem Matrosen mit dem "Primatenverstand".
Das Werk zeugt davon, dass Dönnecke von der Schönheit und Größe der Natur auf den Weltmeeren tief beeindruckt ist: "Es ging durch die Wasserwüste Pazifischer Ozean, dort bemerkt man erst richtig, was für kleine Geister wir sind. Ich wurde immer wieder beeindruckt von seiner gigantischen Größe und Erhabenheit, auch ein schier endlos scheinendes Ökosystem, aber alles ist relativ, es ist trotz seiner unglaublichen Ausdehnung zerstörbar, wir Menschen sind gerade dabei es zu tun!"
Der mittlerweile 72-jährige Autor hat alles überlebt und freut sich guter Gesundheit. Die Geschichten sind ein Hochgenuss und allen Fernsehmüden und Trübseligen wärmstens zu empfehlen. Das Werk vereint originelle maritime Geschichten zu etwas Besonderem. Die Geschichten sind ebenso stürmisch und tief wie der Ozean.
Hugo Meyer
06.10.2014