Erzählbände & Kurzprosa

Chirurgische Chronistin

Christa Wolf ist keine der Autorinnen, die allw?chentlich ein neues Schriftst?ck in die Welt setzen. Dennoch kann, in den Jahren, mit den Jahren, der ?berblick verloren gehen, wann Christa Wolf was und wo ver?ffentlichte. Damit den Lesern, die der Wolf gewogen sind, Verstreutes nicht entgeht, gibts - das ist selten in der literarischen Biographie der Schriftstellerin - gelegentlich das Verstreute eingebunden in einen Band. "Mit dem fremden Blick" ist eine der Sammelausgaben, mit der die 1929 Geborene bei Suhrkamp deb?tiert. Man meint den Braten zu riechen und f?rchtet.... Zumal, wenn nachgeschaut wird, woher die Texte geholt wurden. Haben sich da zwei einen Gefallen getan? Die Autorin ihrem neuen Verlag, der Verlag seiner neuen Autorin? Mitnichten! Da? die Texte allzu gro?sprecherisch - gro?spurig gar? - als "Erz?hlungen" angepriesen werden, lassen die Leser vermutlich durchgehen. Trotz der Gewissheit, get?uscht worden zu sein. Die T?uschung wird auch dadurch nicht geringer, wenn die Verlagsank?ndigung akzeptiert ist, da? das von der Autorin Versammelte "die ganze Spannbreite ihrer erz?hlerischen M?glichkeiten bietet".

Nachsichtiger denn je und milder gestimmt, wird die Verfasserin die Formulierung leicht l?chelnd quittieren. Die Leser werden sich um literarische Kategorien kaum k?mmern, sobald ihnen in den berichtenden, publizistischen, essayistischen, erz?hlenden Texten ein Mensch entgegensieht, der nicht hinter Masken schwitzt. In der Summe sind die zusammengefassten Texte das detaillierteste, direkte Selbstportr?t der Christa Wolf, das bisher sichtbar wurde. Auch, wenn sie in ihrem Doppelportr?t "Er und ich" ?ber den "Mann an ihrer Seite" spricht, ?ber den von vielen zu wenig genau genug wahrgenommenen Gerhard Wolf. Genauigkeit - schon immer ein Qualit?tsmerkmal der Wolf - im Selbstdarstellen verlangt von der Verfasserin, auf die pure Nabelschau zu verzichten, verlangt, sich in ihrer Generation, in Beziehung zu den Generationen wie allen Zeitereignissen ihres Lebens zu sehen. Sagt die Schriftstellerin, wie wichtig es ihr geworden ist, "mich selbst so genau wie m?glich kennenzulernen", so artikuliert sie eine elementare, existenzielle Erfahrung. Mit der k?nnen sich die versierten Wolf-Leser sofort identifizieren. Die sehr pers?nlichen Texte der Autorin werden zum pers?nlichen Erlebnis der Leser. Die dem Leser gezeigte Sympathie steigert die Sympathie f?r die Schriftstellerin. Sich zu sehen, in dieser ihrer Zeit, daf?r findet Christa Wolf wieder und wieder kl?rende Worte. So, zum Beispiel, auch in der Feststellung: "In dieser Warenwelt, die alles unter sich begr?bt, hat Schreiben nur Sinn als Selbstversuch, einschneidend, sezierend, die feinsten Ver?stelungen der Person herauspr?parierend und blo?legend. "Das h?rt sich fast an, als sei Selbstz?chtigung im Spiel. Aber, wie immer, will die Prosaistin es pr?ziser. Sie will sein - und ist es - die chirurgische Chronistin. Die verbirgt das Ich nicht hinter dem Wir, und das Wir stellt sich nicht vor das Ich.

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16.10.2005

 
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Das Buch:

Christa Wolf: Mit anderem Blick

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Frankfurt/M., Suhrkamp 2005
192 S., 14,80€
ISBN: 3-5184-1720-7

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