Erzählbände & Kurzprosa
Liebe und Trauer
"Einer bleibt zur?ck und wird weinen", schreibt G?nter Baum ?ber sein Buch, das er als eigene "Traueraufarbeitung" charakterisiert. Es ist ein klares, jederzeit nachvollziehbares Werk, und es ist Ausdruck aus sehr pers?nlichem Empfinden heraus. Beides - leichte Nachvollziehbarkeit und intensive Subjektivit?t - unterscheiden die Schrift vom unl?ngst erschienen Werk "Die Abweichung". Im neuen Buch werden starke Gef?hle ge?u?ert, und sie entspringen einer ?ber f?nfundzwanzig Jahre dauernden Beziehung.
Die Beziehung, die mit dem Tod der geliebten Frau ihren ?u?eren Abschluss findet, bezeichnet der Autor, der vor allem als Protagonist in Erscheinung tritt, als ?beraus harmonisch. Es sei kein einziges b?ses Wort gefallen, berichtet er. Ist es eine Liebesgeschichte? Ganz klar ist die Traueraufarbeitung auch eine innige Zusage an die Partnerin, eben gerade auch in den letzten, von schwerer Krankheit belasteten Lebensjahren der Frau. Waltraud, ein interessanter und humorvoller Mensch, ver?ndert sich in mehrfacher Hinsicht - vor allem auch k?rperlich. Zudem wird ihre Welt enger und enger, der Radius verkleinert sich Tag f?r Tag. Es stellt sich kein Heilen ein, es geht allenfalls um ein Hinausz?gern, schreibt G?nter Baum. Das Atmen bereitet zunehmend M?he. Schlie?lich schl?ft Waltraud friedlich ein.
Sehr offen schreibt Baum ?ber seine Trauer, das Abschied-Nehmen, die Bestattung. Was der Leser vor sich hat, sind Projektionen einer trauernden Psyche, die mit dem schriftlichen Artikulieren den weiteren Weg sucht. Ein Mensch, der "in eine neue Einsamkeit" zu taumeln droht, braucht Hilfe und findet sie im eigenen Buch. ?u?erlich mag eine solche Beziehung ihr Ende finden, im Innern jedoch f?hrt die Liebe weiter. Er habe das Gef?hl gehabt, es sei ihre Seele auf ihn ?bergesprungen, schreibt Baum. Die Verbundenheit hat keineswegs gelitten - im Gegenteil: Sie r?ckt nach vorne. Unter anderem kommt auch Dankbarkeit zum Ausdruck. Trauer wird durch Erinnerung fassbar und ?berwindbar gemacht.
Gibt es ein Leben nach dem Tod? Diese Frage ber?hrt wohl jeden, der nach vorne blickt und gleichzeitig reflektiert. Normalerweise gilt sie dem eigenen Leben. Hier aber richtet sich die Frage an den ?berlebenden. Gibt es ein Leben nach dem Tod eines anderen Menschen? Inwiefern kann der Mensch, der einen geliebten Partner "verliert", einfach weiter leben? G?nter Baum gesteht, die Unbarmherzigkeit des Todes erlebt zu haben. Vor dem Leser wird also keine Besch?nigung ausgebreitet, man sp?rt Betroffenheit und Schmerz.
Damit stellt sich die Frage, was der Leser davon haben k?nnte, wenn er ein derart pers?nlich geschriebenes Buch zur Hand nimmt. Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Was holt sich dieser oder jener Leser aus den Seiten dieses Buches? Ein St?ck Lebenserfahrung, vermittelt von einem Betroffenen, der sein Leid eben mitteilt? Trost? Schicksalsgemeinschaft? Ein solches Buch schafft so etwas wie ein solidarisches Mitgehen. Gerade weil jeden Leser das gleiche oder ein ?hnliches Schicksal ereilen kann, wird die Lekt?re bedeutungsvoll. Was t?te ich an G?nter Baums Stelle? W?re meine Trauer eine durchaus ?hnliche Trauer, oder f?nde ich ganz andere Wege?
Der Leser hat keine Belehrung zu erwarten, sondern eine Erz?hlung aus dem Erleben heraus. Deshalb bleibt es an ihm, Schl?sse zu ziehen. Diese Schl?sse werden kaum rein rationaler Natur sein, sie betreffen viel mehr, so etwas wie die "ganze Lebenshaltung" n?mlich, nicht weniger als das. Und das spielt in der eigenen Biografie, ob bewusst erkannt oder nicht, immer eine zentrale Rolle.
Ronald Roggen
02.07.2012