Erzählbände & Kurzprosa
Einblicke in die irische Seele
Vor knapp zwei Jahren lie? der irische Schriftsteller Gerard Donovan hierzulande mit seinem internationalen Bestseller "Winter in Maine" erstmals aufhorchen. Dass er neben dem Roman auch andere Erz?hlformen meisterlich beherrscht, beweist er nun mit seinem neuesten Werk "Morgenschwimmer". Eine Ansammlung von insgesamt 13 Kurzgeschichten bietet Donovan ein Feld, in dem er das heutige Irland vielschichtig durch seine Menschen und deren Treiben beleuchtet.
Die titelgebende erste Erz?hlung handelt von Jim, der mit seinen beiden Freunden Eric und John die Morgenstunden im Mai nutzt, um in der Bucht von Galway schwimmen zu gehen. Eines Morgens jedoch ist Jim alleine unterwegs und lauscht ungewollt in der Umkleide seinen beiden angeblichen Freunden, wie sie ?ber ihn und die Untreue seiner Frau l?stern. Situationen wie diese, die den Leser die Luft anhalten lassen, hat Donovan durchweg f?r seine Erz?hlungen in "Morgenschwimmer", das im englischsprachigen Original bereits drei Jahre zuvor unter "Country of the Grand" erschienen war, reserviert.
In "Wie lange?" fragt Peter seine Frau Brenda auf einer l?ngeren Autofahrt, wie lange sie denn warten w?rde, wieder mit einem Mann ins Bett zu gehen, f?r den Fall, dass er pl?tzlich sterben w?rde. Getrieben wurde Peter dabei von einer Reklame f?r eine Lebensversicherung am Rande der Autobahn. Die Auswirkungen sind immens, Brendas Antwort l?sst Peter an ihr und ihrer Ehe zweifeln. Donovan gelingt es famos, Geschichten mit einem zentralen Kern auf den Punkt zu bringen, die er allerdings keineswegs zu irgendeinem wie auch immer gearteten Ende f?hrt. Leser, die einen sinnhaften Schluss oder unbedingt eine Aufl?sung erwarten, bleiben ohne Antwort zur?ck, denn Donovans Geschichten sind stets Momentaufnahmen mit epischen Auswirkungen.
In den Handlungsorten der verschiedenen Geschichten l?sst sich Donovans Vita nachzeichnen. Nach Kindheit, Jugend und Studium in Galway, im irischen Westen, landete er schlie?lich in Dublin, bevor es ihn ?ber den gro?en Teich in die USA zog. Genau diese Flecken Erde bilden auch die Hintergrundszenarien f?r die Kurzgeschichten im vorliegenden Buch. Obgleich keine der Geschichten l?nger als 35 Seiten ist und das gesamte Buch nur etwas mehr als zweihundert Seiten hat, wird der Leser dennoch eine ganze Weile seinen Spa? daran haben. Schlie?lich beschreibt jede einzelne Geschichte sehr intensiv gewisse Charaktere und eine bestimmte Situation, so dass man als Leser das Buch nach dem Ende einer Geschichte garantiert ablegen wird, ohne sofort zur n?chsten Erz?hlung ?berzugehen.
Eine Frau erf?hrt bei der Testamentser?ffnung ihres verstorbenen Mannes von dessen Doppelleben, das er in einem ihr g?nzlich unbekannten Schloss gelebt haben soll. Bei einer gemeinsamen arch?ologischen Ausgrabung reflektieren Robert und Emma ihre Beziehung, wobei ein bestimmter Fund Emmas Gedanken in eine Richtung davongaloppieren l?sst, die den beiden keine weitere Chance mehr gibt. Herr Dietz bricht eines fr?hen Morgens in einem Bademantel gekleidet mit einem Ford Zephyr aus seinem Leben aus. Wer mehr dar?ber wissen m?chte, sollte sich "Ein anderes Leben", "Arch?ologen" und "Harry Dietz" zu Gem?te f?hren. Donovan schafft Geschichten, die sich in einem einzelnen Satz zusammenfassen lassen, dabei aber so unerh?rt klingen, dass man einfach mehr dar?ber wissen m?chte.
"Morgenschwimmer" geh?rt zu denjenigen B?chern, die jeder Leser gerne immer wieder einmal aus seinem B?cherregal hervorholen wird, um sich wahllos einer beliebigen Geschichte daraus hinzugeben. Donovan ist ein feiner Beobachter der Wirklichkeit, die viele Facetten kennt, dem einen freundlich gesonnen ist, dem anderen aber sich als nicht zu meistern darstellt. Dar?ber hinaus l?sst Donovan in vielen Geschichten des vorliegenden Buches seine literarischen Muskeln spielen. Man sp?rt allenthalben, dass hier ein Schriftsteller mit enormer poetischer Kraft am Werke war.
Christoph Mahnel
28.11.2011