Erzählbände & Kurzprosa
Dankbarkeit , Hoffnungen und Ängste in Deutschlands "Stunde 0"
2. Oktober 1990: Im kleinen St?dtchen Burg im Jerichower Land trifft Ingrid Ewers letzte Vorbereitungen f?r einen Dank- und Bittgottesdienst, der an diesem Abend in der Oberkirche "Unser Lieben Frauen" stattfinden wird. Dabei erinnert die Autorin der Erz?hlung "Eine Kerze will ich anz?nden" vor allem an jene Menschen, die von den vergangenen vier Jahrzehnten SED-Diktatur gepr?gt und nicht selten gebrochen wurden.
Ingrid Ewers, die dem Leser im Buch als Frau Gilbert begegnet, fragt: Was wird aus den Menschen dieses Landes, aus den Opfern und den T?tern und all jenen, die sich irgendwie zwischen diesen beiden Extremen verirrt haben? Was wird aus den einfachen Leuten, die sich mit der DDR-Wirklichkeit arrangiert haben?
Die Frau am Altar
Frauen in kirchlichen ?mtern, das ist in der DDR nicht selten. Eine von ihnen ist Frau Winkler, die jahrelang und schlie?lich erfolgreich um den Erhalt einer kleinen Dorfkirche nahe Burg k?mpft. Material- und Arbeitskr?ftemangel, die schwierige Situation der Kirche in der sozialistischen DDR, b?rokratische und poltische H?rden muss sie dazu ?berwinden.
Am Ende scheint alles vergebens: Im Mai 1988 brennt die kleine Kirche bis auf die Grundmauern nieder. Niemand will etwas gesehen, geh?rt haben. Die Kraft f?r einen zweiten Neuanfang hat Frau Winkler nicht mehr. Ein Verdacht zerfrisst ihr Vertrauen in die Gemeinde.
Am 4. November 1989 verl?sst eine physisch und psychisch gebrochene Frau die DDR. Nur 5 Tage sp?ter f?llt die Mauer ...
Schatten der Vergangenheit
"Dunkle R?ume" verbergen das tragische Schicksal von Annette, einer jungen Frau, deren Kindheit und Jugend, deren Zukunftspl?ne ganz und gar der Musik geh?rten. Als musikalisches Wunderkind bestaunt, gelingt es dem vertr?umten, sch?chterten M?dchen aus christlichem Elternhaus, auch ohne Mitgliedschaft in der FDJ die Bildungsleiter der DDR zu erklimmen. Seit ihrem 6. Lebensjahr spielt Annette Geige. Musik m?chte sie studieren, in einem Orchester mitspielen.
Doch kurz vor dem Ziel zerst?rt die Wirklichkeit ihren Lebenstraum: Auftrittsverbot, Ausschluss aus dem FDJ-Orchester. Als ihr Freund einen Ausreiseantrag stellt und ein Student aus ihrer Seminargruppe Selbstmord begeht, zerbricht das v?llig verzweifelte M?dchen, wird immer schweigsamer und hat fortan panische Angst vor den dunklen Schatten der Vergangenheit.
K?nigskinder
Die kurze, aber tiefe Liebe zu Christian, einem westdeutschen Philosophiestudenten, ver?ndert 1989 das junge Leben der angehenden Fach?rztin Katharina. Es ist die Liebe zweier "K?nigskinder", eine Liebe ohne Zukunft. Sie k?nnen nicht ahnen, dass das tiefe Wasser, das die Beiden trennt, schon bald verschwunden sein wird - und dass aus ihrer Liebe neues Leben erw?chst ...
Das Licht am Wegrand
Menschenw?rde, Freiheit der Person, des Glaubens und des Gewissens, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz der Familie und die F?rsorge f?r Mutter und Kind - dies sind nur einige Grundrechte, die seit jener historischen Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 auch f?r die Menschen in der ehemaligen DDR gelten. Es sind Rechte, um die zu k?mpfen es sich gelohnt hat.
Und doch zeigen die Gedanken der Autorin nur Stunden vor dem Ende der DDR auch die drohenden und inzwischen Wirklichkeit gewordenen Schattenseiten der neuen Zeit. Sozialabbau, Angst um den Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, Tafeln und Kleiderkammern sind an die Stelle der ?berwundenen Unfreiheit getreten. Sie treffen ausgerechnet die mutigsten B?rger der neuen Bundesrepublik am h?rtesten: alleinerziehende, oft ganz junge M?tter wie Katharina.
Wie ein bleierner Mantel liegt eine B?rokratie ?ber Deutschland, die den Respekt vor den Menschen und ihren so schwer erk?mpften Grundrechten immer ?fter vermissen l?sst.
Kann die Kirche mit ihrer DDR-Vergangenheit, aus deren Sicht Ingrid Ewers schreibt, daran etwas ?ndern? Zumindest kann sie, ebenso wie in der DDR, denen zuh?ren, Mut machen, "ein Raum der Geborgenheit" und ein Licht am Wege sein, die abseits der Leistungs- und Ellenbogengesellschaft auf solidarische Hilfe angewiesen sind.
Die Zuversicht, etwas ?ndern zu k?nnen, Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe, Bescheidenheit und die F?higkeit, mit Kreativit?t aus Wenigem viel zu machen - das sind Erfahrungen aus der DDR, die dabei ganz sicher von Nutzen sind.
Mario Lichtenheldt
03.01.2011