Erzählbände & Kurzprosa
Kleiner Drache auf der Suche nach dem großen Glück
Märchen gehören zu den bekanntesten Volkserzählungen in Deutschland. Fast jeder hat schon einmal etwas von Aschenputtel und ihren bösen Stiefschwestern, Dornröschens einhundertjährigem Schlaf oder der bösen Hexe aus "Schneewittchen" gehört. In diese Sagenwelt gehören aber nicht nur schöne Prinzessinnen und Prinzen, böse Hexen und Stiefmütter sowie Zwerge, sondern auch andere mystische Wesen wie Elfen, Feen, Kobolde und besonders Drachen. Bisher haben die Letzteren meist nur eine kleine Rolle in den Märchen gespielt, doch in Andrea Schwarz’ Märchen "Der kleine Drache Hab-mich-lieb" ist ein Drache die Hauptfigur des Geschehens.
Dieses Märchen fängt an wie alle anderen auch, nämlich mit "Es war einmal". In diesem Fall war einmal ein kleiner Drache - wie sich im Laufe der Handlung herausstellt, eine Sie -, der sich einsam fühlt, von niemandem geliebt wird und nur um die Erfüllung leidiger Pflichten bemüht ist. Dabei möchte sie doch so gerne mit den anderen Tieren im Wald spielen, lachen, tanzen, singen und einfach eine schöne Zeit mit Freunden verbringen. Doch diese fürchten sich viel zu sehr vor dem Feuer speienden Ungetüm und fliehen. So fristet sie ihr Leben jahrein, jahraus mit der Bewachung ihrer Höhle, ohne dabei Freude oder gar Glück zu verspüren.
Dies ändert sich schlagartig, als sie im Laufe des Winterschlafs einen Traum von einer Wiese hat, voll mit Tieren, die mit dem Drachen spielen und lachen. Ermutigt durch diesen Traum macht sich der kleine Drache auf die Suche nach dieser Wiese. Auf dem Weg dorthin muss sie sich einigen Herausforderungen stellen: So sagt sie dem Drachenobersten deutlich ihre Meinung, als dieser ihr Anliegen nicht nachvollziehen kann, muss unter freiem Himmel unbequem nächtigen und wird sogar von einem Hirsch angegriffen.
Als sie die passende Wiese zwischenzeitlich findet, wollen die dortigen Tiere sich nicht mit dem Drachen anfreunden und fliehen lieber vor ihr, statt mit ihr zu spielen. So abgewiesen, verstört und allein trifft sie den Zauberer Moya, der dem Drachen deutlich macht, dass man sich selbst finden und akzeptieren muss, um von anderen angenommen zu werden und Freunde zu finden. Zudem gibt er ihr ihren Namen "Hab-mich-lieb", um damit die besondere Situation des Drachens zum Ausdruck zu bringen. Durch diesen Ratschlag gestärkt macht sie sich auf in die weite Welt, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
Dieses Märchen ist in erster Linie für große Leute gedacht, doch durch die liebevolle und warmherzige Art des Drachen ist es gleichfalls für die Kleinen geeignet. Der Drache Hab-mich-lieb ist nicht so Furcht erregend wie seine Artgenossen, sondern zeichnet sich vielmehr durch eine Schüchternheit aus, hinter deren Vorhang er die Wahrheit, wenn meistens auch recht leise, ausspricht, was sich sonst niemand traut. Hab-mich-lieb hat das Zutrauen, ein eigenständiges und selbstbewusstes Individuum zu sein, das sich von der Masse abhebt und trotz allem die Fähigkeit besitzt, andere Lebewesen für sich einzunehmen.
Untermalt werden die Ereignisse durch vereinzelte liebevoll gestaltete Zeichnungen, die den Humor der Geschichte zeigen. Diese und das Märchen an sich zeigen einen Drachen, den sowohl die Großen als auch die Kleinen einfach lieb haben müssen. Leider ist das Büchlein viel zu schnell durchgelesen. Doch nimmt man es sicherlich häufiger als nur einmal zur Hand, um den kleinen Drachen bei der Suche nach seinem persönlichen Glück zu beobachten. Zudem hilft das Märchen einen Ausweg für jedermann zu finden, der in einer ähnlichen Situation steckt. Ein kleiner Lichtblick am Horizont, der anderen Hoffnung bereitet.
Susann Fleischer
02.03.2009