Erzählbände & Kurzprosa
Wer 21 Jahrhunderte alt ist, der kann viel erzählen!
Mit seiner "Chronik des Eisernen Druiden" hat Autor Kevin Hearne eine der faszinierendsten Serien im Bereich der Urban Fantasy kreiert. Im Mittelpunkt steht der 21 Jahrhunderte alte Druide Atticus O'Sullivan, der sich mit zahlreichen übernatürlichen Widersachern herumschlagen muss. Typisch für die mittlerweile acht Romane umfassende Reihe sind Binnenerzählungen. Doch nicht alle von Kevin Hearne verfassten Erzählungen, die in der Welt des Eisernen Druiden spielen, haben es in die Romane geschafft. Neun dieser Texte sind nun in "Überfallen" zusammengefasst.
Die neun Geschichten sind sehr heterogen, was aber auch ihren Reiz ausmacht und verhindert, dass Langeweile aufkommt. Viele Storys lässt Kevin Hearne seine Hauptfigur erzählen. Gelungen ist hier vor allem "Göttin am Kreuzweg", in welcher der Eiserne Druide mit William Shakespeare höchstpersönlich auf Inspirationssuche geht. Shakespeare-Freunde dürften hier so einige Anspielungen entdecken. In "Das Auge des Horus" muss Atticus ein Artefakt aus der legendären Bibliothek von Alexandria stehlen. Hier kommen Actionfans dank des Kampfes mit einem ägyptischen Gott voll auf ihre Kosten. Dafür bleibt das Setting - anders als das England zur Shakespearezeit - allerdings etwas blass.
Lust auf den nächsten Roman der Reihe macht vor allem die letzte Geschichte "Das Ende der Idylle", die bereits einige kommende Entwicklungen andeutet und beschreibt, wie der Eiserne Druide seinen tierischen Gefährten Faolan verlor. Die abschliessende Erzählung zeichnet sich vor allem durch ein gut ausbalanciertes Gleichgewicht zwischen Komik - wegen der Gespräche zwischen Atticus und seinem Hund Oberon - und Melancholie - wegen der sich abzeichnenden düsteren Ereignisse - aus.
Bei einigen Storys variiert Kevin Hearne die Erzählperspektive. Als Ich-Erzähler fungieren hier nicht nur Atticus' Schülerin Granuaile und sein Lehrer Owen, sondern mit Perun auch ein wahrhaftiger Gewittergott aus dem slawischen Pantheon. Auch wenn die von Letzterem erzählte Geschichte "Kuschelkeller" im ersten Teil vielleicht etwas zu lang geraten ist, besticht sie doch durch die ungewöhnliche Idee, so etwas wie einen Swingerklub durch die Augen einer uralten Gottheit zu sehen. Dabei unterscheidet sich der Erzählerton merklich. Das ist auch bei den von Owen erzählten Storys der Fall.
Besonders spannend ist "Der Schwarze Mann vom Boora-Moor" geraten, in der der Druide eine kinderraubende Bestie aufspüren muss. Hier sieht der Leser den späteren Erzdruiden erstmals in dessen jungen Jahren und erlebt, wie sich sein moralischer Kompass ausbildet. Eine wiederum andere Tonalität hat die Geschichte "Blutpudding", welche Granuaile erzählt, die sich eines Vampirproblems in Polen annehmen muss. An dieser Story wird deutlich, dass der Band eher nicht für Neueinsteiger in die Welt des Eisernen Druiden geeignet ist, da dieser sich immer wieder auf Entwicklungen aus den Romanen bezieht. Deshalb ist es auch hilfreich, das eine genaue zeitliche Einordnung am Anfang jeder Erzählung steht.
"Überfallen" ist eine kurzweilige Sammlung von Erzählungen, die sich an Fans der Reihe richtet. Durch die Wechsel bei Erzählern, Handlungsorten und -zeiten ist für reichlich Abwechslung gesorgt und auch die Mischung aus Komik und Ernsthaftigkeit stimmt. Das macht richtig Lust auf den bald erscheinenden neunten - und leider letzten - Roman der Reihe.
Ingo Gatzer
23.04.2019