Dramen

Lessings Dramen: Revolution einer Gattung

Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) gilt als wichtigster Dichter und Dramatiker der deutschen Aufklärung. Mit seiner theoretischen Schrift "Hamburgische Dramaturgie" aus dem Jahre 1767 begründete er den Weg des Theaters weg vom klassischen französischen Vorbild hin zum bürgerlichen Drama, was unter seinen Zeitgenossen bald Nachahmer finden sollte. Was Lessing in dieser Schrift für alle Theaterstücke propagierte, führte er zuvorderst an seinen eigenen Werken durch. Man denke an "Miß Sara Sampson" und "Emilia Galotti" die anderen Stückeschreibern als Vorbilder gedient haben dürften. Diese und neun weitere Dramen können Theaterfreunde in der von Kurt Wölfel herausgegebenen Gesamtausgabe "Dramen" lesen, interpretieren und sogar selbst in Szene setzen.

Eine Auswahl von Lessings Stücken

Der Aufbau des Buches erfolgt nach der Entstehungszeit der Dramen. Lessings frühes Lustspiel "Der junge Gelehrte" (1747) eröffnet das Buch und erzählt von einem lustig-bunten Liebesreigen dreier Menschen, denen vom Schicksal eine Bewährungsprobe auferlegt wird. Das darauffolgende Lustspiel "Die Juden" (1749) thematisiert religiöse Toleranz und Humanität - ähnlich wie im Ideendrama "Nathan der Weise" (1779), in dem der Jude Nathan zum Sultan gerufen wird, da dieser dringend Geld benötigt. Die aus diesem Drama bekannt gewordene Ringparabel versucht die Frage nach der richtigen Religion zu beantworten, indem Nathan mit einer Geschichte aufweist, dass es bei der Glaubensrichtung kein richtig oder falsch gibt. Das an "Die Juden" anschließende Lustspiel "Der Freigeist" (1755) gehört zur Gattung der "sächsischen Typenkomödie" und handelt vom Freigeist Adrast und dem jungen protestantischen Geistlichen Theophran, die um die Töchter des Lisidor, Henriette und Juliane, werben. Es entspinnen sich Liebeskonstellationen und Verwirrungen, deren Charakter typisch für Lessing sind.

Erst mit "Miß Sara Sampson" (1755) wird eine neue Epoche eingeleitet, indem Lessing sich an tragische Stoffe herantastet. Es handelt sich hierbei um jenes bürgerliche Trauerspiel, das als Muster für viele andere dienen sollte. Erstmals widmet sich Lessing in diesem Werk einem tragischen Schicksal, das allerdings im Privaten verläuft und nicht Könige, sondern den niederen Adel betrifft - im Gegensatz zu den bisher herrschenden dramaturgischen Konventionen, gegen diese sich Lessing nun endgültig auflehnen wollte. Mit dem folgenden Dramenfragment "D. Faust" (1758 ff.) befasst sich Lessing mit dem sagenumwobenen Fauststoff, dem sich später auch Johann Wolfgang von Goethe zuwenden sollte. Wie bei den nachfolgenden Faustadaptionen, so stehen sich auch in Lessings Werk Faust und der Teufel als handelnde Figuren gegenüber, wobei vorrangig die Suche nach der Wahrheit thematisiert wird. Das Trauerspiel "Kleonnis" dürfte nur wenigen Theaterbesuchern bekannt sein. Inspiriert vom griechischen Dichter Sophokles und dessen "Ödipus" findet ein (zufälliger) Vatermord statt, der das Leben des Helden von Grund auf verändert. Der Inhalt der folgenden vier Dramen "Philotas", "Minna von Barnhelm" (1767), "Emilia Galotti" (1772) und "Nathan der Weise" dürfte als bekannt vorausgesetzt werden und soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Nur soviel: Es geht um Liebe und Eifersucht, Religion und Heldentum. Abgerundet wird die Gesamtausgabe vom Dramenentwurf "Die Matrone von Epheus", den Lessing nie zur Vollendung brachte.

Lessing im Kontext seiner Zeit

Anhand des vorliegenden Buches zeigt sich, dass sich Lessings Dramen in der Moderne der gleichen Beliebtheit erfreuen, wie vor über 250 Jahren, als seine Schöpferkraft einen unerwarteten Schub erhielt und der Dichter ein Werk nach dem anderen "produzierte". Diese Ausgabe von Lessings "Dramen" weist ein stilvolles Gesamtbild aus, das den Rezipienten das Lesen angenehm gestaltet. Durch ein klar gestaltetes Schriftbild - ohne Schnörkel und unnötige Nebensächlichkeiten - entdeckt der Theaterfan eine Welt für sich, die in der Moderne nicht mehr existiert. Da trauert man mit Sir William, Sara Sampsons Vater, als seine Tochter sich erdolcht, man erlebt einen Liebestaumel beim Anblick der Beziehung zwischen Minna von Barnhelm und Major von Tellheim oder empfindet Unverständnis gegenüber Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla, als dieser in "Emilia Galotti" vor Liebesweh sein Privatleben über die Staatsgeschäfte stellt.

Der ausführliche Anhang komplettiert das Buch, sodass nach der Lektüre keine Fragen oder Zweifel offen bleiben. Zu jedem Stück wird eine kurze Entstehungsgeschichte gegeben, anschließend folgen die von Lessing verwendeten Quellen. Eine Darstellung der Überlieferung und Dokumente stellen das Stück in seinen zeitlichen Rahmen. Da man zu Lessings Zeit einige Worte verwendete, die im Sprachschatz des 21. Jahrhunderts nicht mehr vorkommen, hat der Herausgeber Kurt Wölfel einen Katalog mit Erläuterungen angehängt, der das Verständnis der Stücke erleichtert. Das auffangende Nachwort von Wölfel stellt Lessings Dramen in einen zeitlichen Kontext, der dem Leser die Handlungsweisen der einzelnen handelnden Figuren begreiflicher macht. Bezüge zu anderen Texten der Epoche werden ebenso offen dargelegt und erläutert wie das gesellschaftliche Leben des 18. Jahrhunderts, sodass sich der Leser in die Figuren hineinversetzen und deren Höhen und Tiefen miterleben kann - ganz so wie Dramen es beabsichtigen.

Susann Fleischer
31.08.2009

 
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Das Buch:

Kurt Wölfel (Hg.): Gotthold Ephraim Lessing: Dramen

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Frankfurt am Main: Insel Verlag 2004, 7. Aufl.
847 S., € 15,00
ISBN: 978-3-458-32414-0

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