Dramen

Drama, Drama, Drama

Am 14. Oktober, damit weniger als zwei Monate nach dem Erscheinen im Suhrkamp Verlag, wurde "Der Triumph der Waldrebe in Europa" im Schauspiel Stuttgart, inszeniert durch Nick Hartnagel und besetzt mit Therese Dörr, Gábor Biedermann, Camille Dombrowsky, ..., uraufgeführt. Und das hat dieses Drama auch mehr als verdient. Es ist geschrieben für ebenso große wie kleine Bühnen. Es bietet Unterhaltung, aber in einem selten intimen Rahmen. Da hat man als Rezipient kaum eine andere Wahl, als zur nächsten Buchhandlung zu gehen, es zu kaufen und darin zu lesen, bis einem die Augen vor Müdigkeit zufallen. Und selbst dann fällt es schwer, mit der Lektüre aufhören zu müssen.

Zur Handlung:

Beunruhigend weit liegen die Lebensentwürfe auseinander, Übergänge und Zwischentöne drohen in der öffentlichen Debatte zu verschwinden. Der achtjährige David ist tot, das veröffentlichen der Influencer Tim und einige Journalist:innen, doch aus Sicht der Eltern leidet der Junge seit seinem Verkehrsunfall an einer Art von Demenz. Renate und Konrad suchen eine Schule für ihren Sohn, der als Tablet in einem Rollstuhl erscheint. Der Bildschirm gibt Davids Gedanken wieder - eingetippt von den Eltern, die behaupten: "Wir waren ja jeden Tag mit ihm zusammen und wissen doch ganz gut, wie er denkt." Renate und Konrad verweigern sich einer Trauerarbeit, die sie zwänge, den eigenen Sohn sterben zu lassen. "Verschonten" und Kinderlosen, die wie Tim in seinem Video auf Davids Grab hinweisen, begegnen sie mit Kampfgeist und werfen ihnen Gedankenmord vor.

In Interviews, Internetvideos und Tonaufnahmen eröffnet Clemens J. Setz ein bizarres Wortgefecht. Er entwickelt in seinem neuen Stück ein düsteres Spiel über den Umgang mit dem Tod in unserer medialen Welt. Sind die Toten wirklich tot oder können sie im Virtuellen weiterleben? Wie beeinflusst die digitale Welt unsere Vorstellung von Unsterblichkeit? Gibt es eine digitale Unsterblichkeit, und was folgt daraus für unser "reales" Leben? Was bedeutet Authentizität in einer Welt, in der sich jede:r vermeintlich "real" im Netz darstellen kann? Wer hat die Kontrolle über die Grenze von Leben und Tod? Abseits der irrwitzigen Debatte begleitet der Autor mit erstaunlichem Realismus die Eltern und ihren Sohn in die Abgründe der Gefühle und Sprachlosigkeit.

Ein Bühnenstück, das man so schnell nicht mehr vergisst

Literatur ist selten grandioser und dabei einfallsreicher - was Clemens J. Setz schreibt, versetzt den Leser in noch nie dagewesene Ekstase. Das beweisen auch zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem der Georg-Büchner-Preis 2021, der Heinrich-von-Kleist-Preis 2020, der Berliner Literaturpreis 2019, der Literaturpreis der Steiermark 2017, der Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015, der Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 und der Preis der Leipziger Buchmesse 2011. Allein das ist absolut beeindruckend. Noch mehr allerdings die Lektüre seines neuesten Werkes "Der Triumph der Waldrebe in Europa". Dieses lässt einen die Welt um sich herum vollkommen vergessen. Und das will etwas heißen!

Clemens J. Setz ist ein grandioser Autor, seine Worte und die Emotionen seiner Protagonisten klingen noch lange im Herzen und im Kopf des Lesers nach. Sie begleiten einen fortan durchs Leben und lassen einem selbst die schwierigsten Situationen meistern. "Der Triumph der Waldrebe in Europa" stellt sich den wichtigsten Fragen unseres aktuellen Daseins. Aber das mit einer Behutsamkeit sowie sprachlichem Feingefühl, dass es echt beeindruckend ist.

Susann Fleischer 
14.11.2022

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Clemens J. Setz: Der Triumph der Waldrebe in Europa

CMS_IMGTITLE[1]

Berlin: Suhrkamp Verlag 2022 92 S., € 16,00 ISBN: 978-3-518-43097-2

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.