Briefliteratur & Tagebuch

"Die berühmteste Unbekannte des (20.) Jahrhunderts" wandelt durchs Dunkel

Der Berliner Verlag Wagenbach hat mit der Veröffentlichung der Briefe von Djuna Barnes an Emily Coleman ein Buch herausgebracht, das einem nicht nur tiefe Einsichten in das Leben der sehr verschlossenen US-amerikanischen Schriftstellerin Djuna Barnes gewährt, sondern das auch durch Birgit Thiels wunderschöne Umschlaggestaltung mit einer der berühmtesten Fotografien von Barnes ein wahrer Schatz für jedes Bücherregal ist.

Djuna Barnes und Emily Coleman, die ebenfalls als Schriftstellerin tätig war, damit aber noch unerfolgreicher als ihre Kollegin und Freundin blieb, trafen sich bereits Mitte der Zwanziger Jahre in Paris. Dies ist auch die Zeit und der Ort, mit denen man Djuna Barnes am häufigsten in Verbindung bringt. Sie war fest eingebunden in den Kreis der expatriots aus Amerika, die in Paris der Prohibition und dem Konservatismus Amerikas trotzten und als Enklave der lost generation einen ungewöhnlichen Lebensstil in der französischen Hauptstadt pflegten. Näher lernten sich Barnes und Coleman später, Anfang der Dreißiger Jahre, auf dem Landgut Peggy Guggenheims in England, Hayford Hall, kennen. Dort wurde von ausgewählten Künstlern und Intellektuellen tage- und nächtelangü?ber die Kunst und Kultur der Moderne philosophiert.

"Im Dunkeln gehn" präsentiert nur eine kleine Auswahl aus dem umfangreichen Briefwechsel der beiden Frauen. Diese beginnt mit einem Ende, dem tragischen Tod von John Holms, dem Lebensgefährten Peggy Guggenheims, der zuvor jedoch schon der Liebhaber Colemans war. Dieser Mann muss eine charismatische Ausstrahlung auf viele Frauen des Guggenheim-Kreises ausgeübt haben. Nicht nur Barnes und Coleman befassten sich noch Jahre nach seinem Tod mit der posthumen Veröffentlichung seines Werkes. Die Auswahl der Briefe endet 1938, als Barnes einige Zeit bei der US-amerikanischen Schriftstellerin Kay Boyle und ihrer Familie unterschlüpfte. Dieser Aufenthalt läutete die folgende über vierzigjährige Zeit von Barnes ein, in der sie sich weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzog und einsam in einem kleinen New Yorker Apartment lebte, bis sie 1982 starb.

Die in diesem Buch veröffentlichten Schriftstücke geben einen breitgefächerten Überblick über die Themen, mit denen sich Barnes und Coleman in ihren Briefen beschäftigten. Dabei geht es um die unterschiedlichsten Aspekte ihres Lebens: die jeweiligen temporären Liebschaften und die schmerzlichen Erfahrungen, die aus diesen resultierten, die Veröffentlichungen ihrer Werke, vor allem den Einsatz Colemans für die Veröffentlichung von Barnes' Roman "Nightwood" durch T.S. Eliot, mit die bedeutendste literarische und literaturkritische Gestalt dieser Zeit, die Schreibblockaden, die Barnes immer wieder zur Verzweiflung brachten, die Angst vor der ungewollten Einsamkeit, der Umstand, dass Barnes ständig "stinkpleite" war und über Jahre von Peggy Guggenheim finanzielle Unterstützung erhielt, und die inhaltliche Diskussion ihrer Werke.

Neben diesen raren Zeugnissen über das Innenleben dieser großen Schriftstellerin, die dennoch, wie sie selbst schrieb, die "größte Unbekannte des Jahrhunderts" blieb, geben die Briefe auch ein Bild ihres literarischen Könnens und ihrer Scharfzüngigkeit und Schlagfertigkeit wieder, für die sie von vielen Kollegen schon in Paris bewundert aber auch gefürchtet wurde. So beschreibt sie das englische Leben als einen "großen schweren Pudding oder Topfkuchen, der verschlossen daliegt ..." und England als Land, "wo die Männer schon mit Koteletten und einem Sarg auf dem Rücken aus der Wiege zu krabbeln scheinen".

Selbst wenn man all diese Aspekte, die vor allem in literaturwissenschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sind, beiseite lässt, vermitteln die Briefe der Barnes dennoch ein sehr umfassendes Bild einer vielfältigen und spannungsgeladenen Frauenfreundschaft, die durch die unterschiedlichen künstlerischen Motivationen, die privaten Lebenssituationen und eine erstaunliche Ehrlichkeit immer wieder aufs Härteste auf die Probe gestellt wurde.

Den Briefen ist ein sehr detailliertes und gut recherchiertes Vorwort von Mary Lynn Broe vorangestellt, die selbst schon mit "Silence and Power - A Revaluation of Djuna Barnes" einen entscheidenden Beitrag zur Barnes-Forschung geleistet hat. Ohne diese Einführung könnten die Briefe für Uneingeweihte teilweise unverständlich bleiben.

Auch das Personenverzeichnis am Ende des Buches ist ein gelungener Versuch dem Leser zu ermöglichen, den Überblick über die Vielzahl der Namensnennungen in den Briefen zu behalten und dennoch im Lesefluss nicht unterbrochen zu werden. Allerdings lassen sich einige Schwächen bezüglich des Lektorats dieses Anhangs, sowohl was das Tempus als auch die Rechtschreibung angeht, nicht leugnen.

Betrachtet man ihre schriftstellerische Tätigkeit, die vielen Niederlagen in ihrem Liebesleben und ihren fatalen Gesundheitszustand, dann hätte das Buch nicht "Im Dunkeln gehn" (ein Zitat der Baroness von Freytag-Loringhoven, einer langjährigen Freundin der Barnes) genannt werden müssen, sondern "Im Dunkeln stehn". Da Barnes jedoch trotz weniger öffentlicher Aufmerksamkeit bis zum Ende beim Schreiben blieb, sie trotz ihres unsteten Lebenswandels neunzig Jahre alt wurde und da sie über Jahre von einer Melancholie "schwer wie der Arsch eines Bullen" befallen war, ist der Buchtitel doch richtig gewählt.

Insgesamt ist "Im Dunkeln gehn" gerade für Menschen, die bereits mit dem Leben und Werk der Autorin Barnes vertraut sind, eine wahre Bereicherung. Je mehr man sich mit ihrem erfolgreichsten Roman, "Nightwood", beschäftigt hat, umso interessanter sind die Informationen, die man zur Genese dieses Werkes und den Reaktionen der eigentlichen realen Vorbilder für die Figuren in "Nightwood" bekommt, z.B. den Iren Dan Mahoney, der im Roman den Namen Dr. O'Connor trägt. Aber auch für den Leser, der sich mit den Emotionen und den Lebensumständen einer sehr eigenständigen herausragenden Frau und Künstlerin befassen möchte, kann man "Im Dunkeln gehn" nur empfehlen.

-igo 
03.12.2002

 
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Das Buch:

Djuna Barnes: Im Dunkeln gehn. Briefe an Emily Coleman

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Berlin: Wagenbach 2002
196 S., € 22,50
ISBN: 3-803-1316-26

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