Briefliteratur & Tagebuch

Frauenleben, Frauenrechte und literarische Kreise im 19. Jahrhundert

Große Geister werden so recht groß, nicht weil die Nachwelt sie auf passende und unpassende Postamente stellt. In der gewöhnlichen Niedrigkeit des Leibes, die die höchste, nämlich die Würde des Geringsten birgt (wenn man dem Neuen Testament glauben will), bezahlen die nachmals in ihrer Größe wachsenden Geister einen besonderen Preis, weil sie dennoch mehr leisten. Allein darin liegt ihre richtige Größe, die von Mitlebenden mitunter bereits empfunden und von den Posteriores dann bis zur Unkenntlichkeit verklärt werden kann.

Der vorliegende Band ist durchgehend ein Zeugnis des umgekehrten Wechsels von Größe und wirklicher Bedeutung. Theo Schücking war als Tochter des Schriftstellers Levin Schücking und als Herausgeberin des Droste-Hülshoff-Schücking-Briefwechsels den Zeitgenossen wohl bekannt, was aber nicht ausreichen konnte. Ihre Korrespondenzpartnerinnen waren zu ihrer Zeit teils sogar berühmt, die Ebner-Eschenbach etwa oder Emmy von Dincklage, oder sie waren wenigstens bekannt wie Betty Paoli, Ida Boy-Ed und Fanny Lewald. Allen eignet jedoch die Erfahrung, daß sie von der Nachwelt von ihren kleinen und großen Postamenten gestoßen wurden. Wer sich dem Zeitgeist vermählt, wird bekanntlich rasch Witwe.

Insofern stellt sich eigentlich auch die Frage des Sinns, einen Briefwechsel dieser ehemals geschätzten Persönlichkeiten zu sammeln und aufwendig - mit historisch-kritischem Apparat und in richtiger diplomatischer Wiedergabe - zu veröffentlichen. Diese Frage wird von der Herausgeberin nicht gestellt und nicht beantwortet.

Das Buch steht aber genau dafür ein, den minder bedeutsamen Humus der Gesellschaft auszuleuchten, in dem eine Ebner-Eschenbach auch ihre Wurzeln hat. Eine für Frauen höchst ungerechte Gesellschaft, die das Frauenrecht hervorgebracht hat und mutige Streiterinnen wie Helene Lange (im Register übrigens alphabetisch an falscher Stelle genannt) oder Emma Vely und Elise von Hohenhausen, die den Grundstein für die ursprünglich evangelisch basierte Frauenbewegung um 1850 gelegt hat, deren Bedeutung aber noch gar nicht diskutiert ist.

Die vorliegende Edition führt uns die Banalität der Freundschaftsplaudereien vor Augen, aus denen heraus letztlich immer auch Literatur generiert wird, weil sie die Gesellschaft spiegeln. Ein Editionsband, der im Dokumentationsteil wenig Werte ausweist. Aber es ist ein Reichtum unserer Zeit, daß wir außer klitternden Generaldarstellungen auch am Detail arbeiten und sogar die Plaudereien des gesellschaftlichen Umfeldes ausleuchten dürfen. Einen eigenen Wert bilden die lobenswerten Untersuchungen der Herausgeberin.

Markus Hänsel-Hohenhausen
04.03.2002

www.haensel-hohenhausen.info

 
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Das Buch:

Edda Pohlheim (Hg.): Marie von Ebner-Eschenbach. Briefwechsel mit Theo Schücking.

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Tübingen: Max Niemeyer 2001 515 S. ISBN: 3-484-10831-2

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