Briefliteratur & Tagebuch
"Tierisches" Lesevergnügen!
Persönliche Bekenntnisse einem Tagebuch anzuvertrauen und literaturfähig zu machen, ist spätestens seit der Romantik nichts Ungewöhnliches mehr. Was nun Erika Mösers zumeist täglich geschriebene und chronologisch geordnete Tagebucheinträge anbelangt, so wird schon durch den Titel angedeutet, weshalb diese aus dem Rahmen fallen. Will doch die Erzählerin ganz offensichtlich weniger im eigenen Interesse schreiben als vielmehr für bzw. anstelle eines vollgültigen und doch etwas speziellen, da vierbeinigen Mitglieds ihrer Familie. Gemeint ist ihre Hündin Cindy, deren aufregendste Erlebnisse in der Zeit zwischen dem 10.01. und 18.02. festgehalten werden. Wie? Das Frauchen nur der "ghost-writer" ihres kleinen Lieblings? Eine solche Rollenverteilung soll funktionieren?
Nun, die Bindung zwischen Frauchen und Cindy erscheint derart eng, dass es zu keinen grundlegenden Verständigungsschwierigkeiten kommt. Frauchen kennt die Körpersprache des Tieres wie kein anderer. Mit geradezu spielerischer Leichtigkeit vermag sie dessen Empfindungen und Gedanken zu deuten. Und umgekehrt gilt entsprechend: Cindy hat überhaupt keine Probleme, die Sprache der Menschen zu verstehen. Schließlich ist sie eine intelligente Hündin, die auch insofern "menschelt", als sie lernfreudig ist, über Erinnerungs- und Reflexionsvermögen verfügt und ihr vorgelebte Verhaltensweisen geschickt nachahmt.
Dass das Alltagsgeschehen nichtsdestotrotz immer wieder von kleineren Katastrophen bestimmt wird, macht den Reiz dieses Tagebuches aus. Am amüsantesten sind Episoden wie "Turnschuhleine", "Schlaganfall", "Im Verlag" oder "Schweineigel". Hier jagt ein Missverständnis das andere. Wichtige Begriffe werden - Sprachwitz pur - falsch gehört, verwechselt oder im wörtlichen statt übertragenen Sinne verstanden. Die Vorstellungswelt der Hündin ist eben doch beschränkt, ihr Verhalten insofern nicht immer erwartungsgemäß.
"Tierisches" Lesevergnügen ist also all den Hundefreunden garantiert, die bereit sind, sich einmal auf die Augenhöhe eines Vierbeiners herabzulassen und ganz der feinen Spürnase zu vertrauen. Aus dieser Perspektive wiegen selbst die vielen kleineren sprachlichen und typographischen Fehler, die sich ins Tagebuch eingeschlichen haben, gar nicht so schwer. Denn auch sie führen nur die besonderen Entstehungsbedingungen dieses nun schon dritten Cindy-Bändchens umso deutlicher vor Augen.
-gda
03.03.2002