Briefliteratur & Tagebuch

Auf Zehenspitzen durch die Welt laufen

Die Diagnose kommt ganz plötzlich - für Christoph Schlingensief, 47, Nichtraucher, ebenso wie für die Öffentlichkeit: Lungenkrebs. Die schnell folgenden Ereignisse - viele Untersuchungen, Operation, erneute Untersuchungen, Chemotherapie - verarbeitet Schlingensief mit einem Tagebuch via Diktiergerät. So sehr er mit der Krankheit allein sein möchte, die Öffentlichkeit ausblenden will, so sehr lässt er andere daran teilhaben. Aber durch die Veröffentlichung seines Tagebuches "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein" entscheidet er allein, wer was wann erfährt.

Im vorliegenden Buch steht nicht der Prominente Schlingensief im Vordergrund, sondern der Mensch. Mit allen Sorgen, Nöten, Ungerechtigkeiten, Ängsten. Er selbst sieht es als eine Therapie: "Meine Gedanken aufzuzeichnen, hat mir jedenfalls sehr geholfen, das Schlimmste, was ich je erlebt habe, zu verarbeiten und mich gegen den Verlust meiner Autonomie zu wehren." Und so ist das Buch eine Mischung aus Rückschau auf das bisherige Leben und der ewig währenden Frage nach Ursache und Sinn der Krankheit, aber Schlingensief schmiedet weiterhin Pläne, hat noch viel vor. Und so gibt es immer wieder intensive Gedanken an die Arbeit.

Der Leser erfährt von einem immensen Lebenshunger, von Glück und Freude auch an banalen Dingen. Schlingensief lernt es, genau hinzuschauen auf die Kleinigkeiten des Lebens und der Leser lernt es vielleicht mit. Ansätze zum Denken gibt es viele: In welcher Geschwindigkeit dreht sich die Spirale aus Tempo und Information? Was wird in einer Extremsituation aus den eigenen Plänen? Manchmal erfährt man eine große Portion Lebensweisheit. Immer wieder wird die Frage gestellt nach Religiosität, nach Gott, nach Glauben. Dabei wird nicht hingenommen, sondern hinterfragt, gezweifelt. Schlingensief spürt Ohnmacht, Wut und dann wieder grenzenloses Vertrauen.

Enttäuschung gibt es auch über andere Menschen, die - vielleicht aus Hilflosigkeit - anders reagieren, als Schlingensief es erwartet hat. Doch er weiß ebenso, fast im gleichen Moment des Vorwurfs, dass er manchmal ungerecht ist: "Es ist absurd, mit welcher Ungerechtigkeit kraftlose Menschen manchmal unterwegs sind." Zur Kritik kommt durchaus auch Selbstkritik.

Schlingensief ist sich bewusst, dass er viele Freiheiten hatte und hat - und dass er diese Freiheit auch genutzt und genossen hat: "Dieses Gefühl, so radikal meiner Freiheit beraubt zu sein, habe ich noch nie gespürt. Ich habe immer die Freiheit gehabt, die Welt zu zitieren, über die Welt zu weinen, sie lächerlich zu machen oder auch einfach nur langweilig zu finden. Und ich habe diese Freiheiten ja auch genutzt bis zum Abwinken. Jetzt geht das nicht mehr, und das macht mir Angst."

"So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein" ist ein unbequemes Buch mit einer zum Teil sehr bildhaften Sprache. Sorgen und (Lebens-)Angst werden sehr deutlich benannt: "Ach, ist das alles eine Scheiße!" Deutlicher kann man es wohl nicht beschreiben. Dieses Buch ist nicht nur Kranken und/oder deren Angehörigen zu empfehlen. Beim Leser relativieren sich wohl eine Menge Sorgen und man lernt einen neuen Blick auf viele "kleine" Dinge des Lebens.

Kerstin Thierschmidt
21.12.2009

 
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Das Buch:

Christoph Schlingensief: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Tagebuch einer Krebserkrankung

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Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009 255 S., € 18,95 ISBN: 978-3-462-04111-8

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