Briefliteratur & Tagebuch

Briefe erhalten die Freundschaft

Im Zeitalter von Computer und E-Mails ist die Kommunikationsform des Briefeschreibens außer Mode geraten. Sie wirkt antiquiert, eignet sich allerdings sehr gut, um Gefühle klar zum Ausdruck zu bringen oder schwierige Situationen zu schildern. Man kann sich während des Schreibens eines Briefes sammeln und seine Gedanken sortieren. Auf diese Weise entsteht kein Telegrammstil wie bei E-Mails, die nur das Wesentliche wiedergeben. An die literarische Form des Briefes hat sich nun der bekannte türkische Satiriker Osman Engin in seinem Buch "Lieber Onkel Ömer. Briefe aus Alamanya" gewagt.

Osman Engin hat seit Silvester einen neuen guten Vorsatz: Er möchte seinem in der Türkei lebenden Onkel Ömer zweimal im Monat einen detaillierten Bericht über die deutschen Gepflogenheiten geben. Begonnen wird analog zum neuen Jahr mit dem Januar und einer ausführlichen Erklärung des guten Neujahrsvorsatzes. Osman hat sich bisher jedes Jahr einen guten Vorsatz vorgenommen. Allerdings konnten diese nie eingehalten werden. Vielleicht ist der obligatorische Ort (z.B. zusammen mit einer Leiche auf der Straße oder auf der Toilette) bei Glockenschlag zu Mitternacht daran schuld. Doch nun wird der neue gute Vorsatz ganz sicher eingehalten.

Nach diesem ersten einleitenden Brief geht es fortan richtig zur Sache. Da es in der Türkei nicht den Valentinstag gibt, erklärt Osman den eigentlichen Sinn dieses Tages der Liebenden: Die Blumengeschäfte verdienen ein Heidengeld und wegen der Pralinen nimmt man nur unsinnig an Gewicht zu. Doch selbst Osmans Sohn Mehmet hat die große Liebe entdeckt, die ihn doch glatt am Valentinstag sitzen lässt. Bedeutung und Sinn des Karnevals scheint Osman selbst nach all den Jahren der Integration in Deutschland noch nicht verstanden zu haben. Oder warum fährt er jährlich mit einem Freund nach Köln zu einer "Studienreise"? Diesmal landet er jedoch bei einem Biker-Treff der Hells-Angels.

Die folgenden Briefe sind von besonderen Ereignissen wie dem Internationalen Frauentag im März, Ostern im April, Tag der Arbeit, Tag der Deutschen Einheit und anderen geprägt, aber auch durch alljährlich immer wieder vorkommende Ereignisse wie den Frühlingsanfang oder die obligatorische jährliche Urlaubsreise. Damit sich der Kreis zum ersten Brief wieder schließen kann, bildet Weihnachten den Abschluss der 24 geschriebenen Briefe an Onkel Ömer in Anatolien.

Doch damit ist es noch nicht getan. Ab dem ersten Brief fügt Osman immer einen Zusatz an. So ist auf einmal eine wildfremde Frau in der Küche, die sich angeregt mit Osmans Ehefrau Eminanim unterhält. Sie gibt sich als ehemalige Studienfreundin aus und richtet sich als Dauergast in der Wohnung ein. Dabei versucht Osman dem Rätsel auf die Spur zu kommen, das erst mit dem letzten Brief gelöst werden kann.

Osman Engin lebt seit seinem zwölften Lebensjahr in Deutschland. Er hat somit einen Großteil seines Lebens in diesem Land verbracht und kennt alle Gepflogenheiten und Traditionen. Aus diesem Grunde kann er mit einem Augenzwinkern seinem geliebten Onkel alles genau schildern. Ein Konzept hält er während der 24 Briefe immer durch: die Einstiegs- und die Abschiedsformel. Dabei werden auch einige türkische Bräuche angesprochen, die nicht unbedingt in Deutschland bekannt sind. Osman Engin gelingt es, die deutschen und türkischen (Mit-)Bürger zu durchleuchten und einander näher zu bringen.

Susann Fleischer
19.01.2009

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Osman Engin: Lieber Onkel Ömer. Briefe aus Alamanya

CMS_IMGTITLE[1]

München: dtv 2008
272 S., € 8,95
ISBN: 978-3-423-21097-3

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.