Briefliteratur & Tagebuch

Ein einzigartiges Zeugnis des Zusammenhalts kritischer Intellektueller in der DDR

Im Herbst 1976 entsteht zwischen Christa Wolf und Franz Fühmann ein Briefwechsel, der vor allem durch die politischen Auseinandersetzungen, in die beide verwickelt sind, vorangetrieben wird. Er schreibt sarkastische Grußkarten und Telegramme, cholerische Fluch- und Wutbriefe, sie versucht, ihm in seiner Verzweiflung beizustehen, und teilt ihm ihre Befürchtungen mit. Auf diese Weise entfaltet sich eine Korrespondenz, die einen faszinierenden Eindruck vom Zusammengehörigkeitsgefühl der bedrängten Künstler vermittelt, das weit über eine Notgemeinschaft hinausgeht. Zugleich spiegelt sich das Lebensgefühl zahlreicher enttäuschter DDR'ler zwischen den Zeilen einzigartig wider. So kann oder vielmehr muss man "Monsieur - wir finden uns wieder" als wichtiges Zeitdokument lesen.

Zur Person "Christa Wolf": Christa Wolf sprach sich Ende Dezember 1965 auf dem 11. Plenum des ZK der SED (auch "Kahlschlagplenum") als einzige Rednerin gegen eine neue restriktive Kulturpolitik aus. Da sie zu den Unterzeichnern des "offenen Briefes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns" gehörte, wurde sie 1977 aus dem Vorstand der Berliner Sektion des Schriftstellerverbandes der DDR ausgeschlossen und erhielt in einem SED-Parteiverfahren eine "strenge Rüge". Sie wiederum hatte am 14. August 1977 aus Solidarität mit Sarah Kirsch, die zuvor die DDR verlassen hatte, ihren Austritt aus dem Vorstand des Schriftstellerverbandes der DDR erklärt und dies brieflich auch Honecker mitgeteilt.

Zur Person "Franz Fühmann": Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes stürzte Fühmann in eine tiefe Lebenskrise und den Alkoholismus. Er ging in der Folgezeit auf Distanz zur DDR-Führung und zog sich schrittweise aus staatsnahen Gremien zurück. Aus der NDPD trat er 1972 aus. 1976 gehörte er zu den Erstunterzeichnern eines Protestbriefes gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR. Seitdem führte die Stasi einen Operativen Vorgang gegen Fühmann unter der Bezeichnung "Filou". Nach der Ausreise von Sarah Kirsch und Bernd Jentzsch aus der DDR sowie dem Austritt Jurek Beckers aus dem DSV, trat Fühmann 1977 endgültig vom Vorstand des Schriftstellerverbands zurück. In der Folgezeit war er in der DDR künstlerisch wie politisch zunehmend isoliert. Er trat für die Friedensbewegung ein und nahm 1981 an der ersten Berliner Begegnung zur Friedensförderung teil.

Ein Juwel im Bücherregal - nicht mehr und nicht weniger ist "Monsieur - wir finden uns wieder", der Briefwechsel von Christa Wolf und Franz Fühmann. Dessen Anziehungskraft zu widerstehen, ist nahezu unmöglich. Das vorliegende Werk, herausgegeben durch Angela Drescher, gehört zu den Pflichtlektüren dieses Jahres. Denn diese lenkt den Blick des Lesers über den Tellerrand hinaus. Damit aber nicht genug: Man lernt Wolf und Fühmann ein großes Stück weit auch von ihrer privaten Seite kennen. Dieses Buch zu lesen, ist wie ein heimlicher Blick durchs Schlüsselloch: größtenteils sehr intim und sehr intensiv. Davon fühlt man sich ganz berauscht. Was dem Aufbau Verlag einmal mehr gelingt, ist ein großer Wurf unter den Neuerscheinungen 2022. Chapeau für solch eine verlegerische Leistung!

Dass Briefe durchaus hohe, wenn nicht gar Literatur auf höchstem Niveau sein können, beweist der Berliner Aufbau Verlag mit "Monsieur - wir finden uns wieder". Man verliert sich mit allen Sinnen in den Schriftstücken aus Christa Wolfs und Franz Fühmanns Feder, bekommt ob solch grandioser Unterhaltung die Welt um sich herum nicht mehr mit. Von dieser Lektüre fühlt man sich nicht nur regelrecht high. sondern absolut überwältigt. Herausgeberin Angela Drescher gibt zwei Ausnahmeschriftstellern somit eine Stimme, die insbesondere in Zeiten wie den heutigen lauter erschallen sollte als alles andere.

Susann Fleischer 
19.04.2022

 
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Das Buch:

Angela Drescher (Hg.): Christa Wolf, Franz Fühmann: Monsieur - wir finden uns wieder. Briefe 1968–1984

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Berlin: Aufbau Verlag 2022 200 S., € 24,00 ISBN: 978-3-351-03958-5

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