Briefliteratur & Tagebuch

Tagebücher auf höchstem erzählerischem Niveau

Ab September 1948 soll Alice Schmidt das Schriftstellerleben ihres Mannes dokumentieren. Von nun an notiert sie in geschenkten Heften mit selbst angerührter Tinte, woran Arno Schmidt arbeitet, was er liest und mit wem er korrespondiert. Schwarzmarkthandel, Hunger und Armut bestimmen zu dieser Zeit das Leben der Schmidts im Flüchtlingsquartier Mühlenhof in Cordingen, aber das Ehepaar genießt auch die vielen Spaziergänge in die Wälder, die später in Schmidts Werk eingehen, und die abendlichen Vorlesestunden. Eine Reise nach Hamburg zu Schmidts damaligem Verlag ist für Alice Schmidt eine ebenso willkommene Unterbrechung des mühsamen Alltags wie der Besuch von Rundfunkmitarbeitern, die den Autor zu seinem ersten Buch befragen.

Nach den Tagebüchern 1954 bis 1956, die jene Zeit anschaulich machen, in der sich Arno Schmidt mühsam als Autor im Nachkriegsdeutschland etabliert, verzeichnet dieses früheste Journal die Anfänge seiner Existenz als Schriftsteller. Für Schmidt sind diese Jahre geprägt von beruflicher Unsicherheit: Er wartet verzweifelt auf die Veröffentlichung seines Erstlings "Leviathan" und muss dazu noch hinnehmen, dass sein Lesedrama "Massenbach" von seinem Verlag abgelehnt wird. Während der Lektüre von "Tagebücher der Jahre 1948/49" glaubt man sich Arno Schmidt so nah wie nie. Es ist für wenige Stunden, als wäre man ein geheimer Beobachter seines Lebens. Dieses zu lesen, ist so intim wie ein Blick durch das Schlüsselloch.

Literatur, die so einmalig ist, wie Arno Schmidt es war - um einen detaillierten Einblick in das Leben des deutschen Schriftstellers zu erhalten, sollte man unbedingt zu den Tagebüchern aus Alice Schmidts Feder greifen. In diesen offenbart sich das wahre Wesen Arno Schmidts. Seine Ehefrau behielt kein Geheimnis für sich. Sie lässt uns teilhaben an ihren Gedanken, an ihrem Alltag mit Arno, an seinen etwaigen Schreibschwierigkeiten. Nach nur wenigen Sätzen verliert man sich vollkommen in Alice Schmidts Schilderungen und vergisst über solch ein ungewöhnliches Lesevergnügen sogar die Welt um sich herum. Veröffentlichungen wie die vorliegende sind von großer Seltenheit, ein besonders kostbares Geschenk an jeden Leser.

Was für ein Schmuckstück von einem Buch. Auch von "Tagebücher der Jahre 1948/49" werden Arno-Schmidt-Leser und Sammler restlos begeistert sein. Hier nimmt man Anteil an den Geschehnissen der Nachkriegsjahre. Und man kommt dem Ausnahmeautor ein Stück weit näher. Zwischen zwei Buchdeckeln findet man Alice Schmidts ganz eigene Art der Poesie.

Susann Fleischer
26.03.2018

 
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Das Buch:

Alice Schmidt: Tagebücher der Jahre 1948/49

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Berlin: Suhrkamp Verlag 2018 (Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung)
210 S., € 32,00
ISBN: 978-3-518-80420-9

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