Ratgeber

Die Schwingen der Seele weit ausspannen ...

"Dany kam wütend aus ihrem Zimmer, ob ich denn nun ganz übergeschnappt sei. Ich hätte ihr mit meinem Geschrei die Hitparade vermasselt, die sie soeben aufnehmen wollte. Schließlich gäbe es noch Wichtigeres als diese blöden Wechseljahre. Ja, du hast recht, Kind. Für dich ist die Hitparade tatsächlich wichtiger als meine Wechseljahre!"

Heute schon geschwitzt? Eine Stunde nach dem Duschen, frisch gefönt und alles beginnt wie immer – erst steigt Wärme auf, dann steigert sich das Ganze zu einer Art innerem Feuerball, der mit nichts gelöscht werden kann, finale grande mit Schweißausbruch und das Gefühl völliger Ermattung? Oder sind Sie schnell auf 180, nervt Sie der Nachwuchs schon zwei Minuten, nachdem die lieben Kinder aus der Schule heimgekommen sind? Müde? Erschöpft? Knopf der Jeans kneift schon wieder? Sie erleiden eine Heulattacke, weil Sie die Parklücke nicht schaffen und das, wo Sie zum letzten Mal vor 12 Jahren weinten bei der Hochzeit Ihrer Jugendliebe? Willkommen im Club!

Sie sind 37 Jahre alt und fragen sich, weshalb ausgerechnet Ihre Regel keine Regeln kennt? Warum Sie dauernd frieren, aber sofort in Schweiß gebadet sind, wenn Sie sich in Schafwollhosen werfen? Ihr Frauenarzt testet Ihren Hormonspiegel und eröffnet Ihnen, dass Sie zu den wenigen (Statistik! Trauen Sie niemals einer!) Frauen gehören, deren Wechseljahre früh kommen, Sie das wohl geerbt haben und Sie aus der Praxis entlässt mit dem Wissen: Ich bin alt. Ich bin in den Wechseljahren. Ich kriege sofort einen Witwenbuckel. Keiner schaut mich mehr an. Ich muss Hormone schlucken! Sie schleichen also in die Apotheke, holen sich Ihr Hormonpäckchen, lesen drei Seiten Nebenwirkungen und fühlen sich schon wieder so deprimiert, so nach Ende des Lebens und keinerlei Hoffnung in Sicht?

Schluss damit, sofort und auf der Stelle! Das ist alles schon wahr, aber eben nur ein kleines Stück aus dem Wahrheitskuchen! Möglich, dass Sie schon mit 35 in den Wechseljahren sind. Glückspilz, wenn Sie es erst mit 49 werden. Na und? Julia Onken beschreibt in ihrem Buch sehr anschaulich und mit einer Menge Humor, was ihr alles auf dem Weg in und durch die Wechseljahre passiert ist. Man kann eine Menge Spaß haben, wenn man das Buch liest, auch wenn man sich an manchen Stellen leise weinend aufs Bett legen möchte und denkt "Genau! So ist es!" Onken, die als Psychologin in Kreuzlingen praktiziert, hat nicht nur ihre eigenen Wechseljahre beobachtet, sondern viele Frauen befragt, Kurse dazu veranstaltet, Bücher gewälzt und ihre Erfahrungen aufgeschrieben – mit viel Tiefgang, viel Herz und Seele, aber auch dem notwendigen Abstand, der eine genauere Betrachtung ermöglicht und einer Menge Witz, selbst wenn es manchmal Galgenhumor sein muss.

Wechseljahre bedeuten nicht Weltuntergang. Sie sind nicht Synonyme für Witwenbuckel, tiefe Furchen im Gesicht, keine Chancen mehr auf irgendwas, der letzte Schubs vor dem Altenheim, so ein Blödsinn. Wechseljahre sind Wechsel-Zeiten! Wie die Pubertät bedeuten Wechseljahre: Ich darf mich von Dingen trennen, die mir schon lange auf den Wecker gehen. Fort mit Stöckelschuhen, wenn sie drücken. Fort mit engen Klamotten, weil man einfach in Naturfasern angenehmer schwitzt. Und vor allem bedeuten sie: Wir sind nun reif zum Wechsel, reif, dem Leben noch einmal eine ganz neue Richtung zu geben. Egal, ob die Kinder noch im Haus sind oder ausgeflogen, ob wir gar keine haben, ob wir in Partnerschaften leben oder als Singles – Wechseljahre sind sowohl zeitlich individuell als auch in ihren Symptomen. Die meisten Frauen spüren sie gar nicht, schön für sie, die anderen sollten aber aufhören zu verzweifeln. Körpersignale machen Sinn – wir müssen nur lernen, wieder auf unsere Körper zu hören und nicht auf das, was die Medizin uns einredet. Hormontabletten? Holen Sie sich mehr als eine Arztmeinung ein und trotten nicht einfach wie eine Herde Schafe im großen Medizinexperiment mit.

Nehmen Sie die Chance zum Wechsel an – Bücher wie das von Julia Onken zeigen, was passieren, wie man es anpacken und einordnen kann. Kann, nicht muss! Jede Frau empfindet anders, aber bei der Lektüre von Julia Onkens Buch spürte ich, wie viel an unbegründeten Gedanken, Sorgen und Ängsten man beruhigt loslassen kann. Insofern ist das Buch ein echtes Stück Lebenshilfe (zumal das Thema absolut tabu ist). Vor allem klappt man es zu und spürt in sich die Kraft, die man braucht, um diese Lebensphase bewusst und selbstbestimmt, nicht medikamentengesteuert und verschreckt, anzugehen und als das zu nehmen, was sie ist: Ein Stück persönliche Weiterentwicklung und eine Stufe, die man sich erst erarbeiten muss.

Manchmal scheint sie ziemlich hoch zu sein, diese neue Stufe, oft genug traut man sich kaum, einen weiteren Schritt zu tun. Eine "Dosis Onken" hilft da gut weiter. Nicht zuletzt ist es die ideale Lektüre in den vielen Nächten, in denen man nicht schlafen kann. Und welche Chancen in dieser Zeit liegen, zeigt nicht zuletzt dieser Gedanke: "Mir war, als ob sich die Schwingen meiner Seele weit ausspannten, und mit jedem Flügelschlag prägte sich die Antwort in mich hinein: Die Zeit der körperlichen Mutterschaft ist beendet, die geistige Mutterschaft beginnt!"

csc
03.01.2002

 
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Das Buch:

Julia Onken: Feuerzeichenfrau. Ein Bericht über die Wechseljahre

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München: C. H. Beck Verlag 2001
206 S., € 9,90
ISBN: 3-406-45996-X

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