Ratgeber

Könnte Ihr Benimm-Kodex eine Auffrischung gebrauchen?

"Hallo"! Dieses erste Wort kann der Anfang vom Ende sein - am falschen Ort ausgesprochen bedeutet es den absoluten Karriereknick. Betriebsfeier, Rotwein auf das Kleid der Chefin geschüttet? Das muss nicht bedeuten, dass nun der Traum vom Abteilungsleiterposten im Müll landet. Wie spreche ich einen Bischof an? Darf man sich in jeden Sessel lümmeln? Die Nagelprobe überhaupt – Essen! Wie isst man was, sind die Tischsitten heute noch so streng wie früher oder darf die Kartoffel doch mit dem Messer zersägt werden? Und dann die spannende Frage nach der Kleidung – wenn man sich die Societystars ansieht, tragen die am Abend Turnschuhe zu löchrigen Hosen. Erlaubt ist, was gefällt? Wenn man schon ein Star ist, ist das wohl möglich, aber wer ist schon ein Star?

Für alle "Normalverbraucher" gelten Regeln und leider muss man ganz klar feststellen, dass die wenigsten dieser Regeln in die Köpfe der Menschen Eingang gefunden haben. Es wird gerempelt, geschubst, geschmatzt, Türen vor anderen zufallen lassen, braune Schuhe zum dunklen Anzug getragen was das Zeug hält. Wer als Couchpotatoe aufwächst, weiß nicht, in welcher Reihenfolge wer gegrüßt wird. Die Spaßgesellschaft schert sich kaum um Regeln, sie möchte ihre eigenen aufstellen. Das ist natürlich möglich. Wirklich hilfreich ist es aber leider nicht. Es ist ganz eindeutig, dass Menschen, denen gutes Benehmen so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass man es nicht spürt, sondern es sie mit einem Hauch Eleganz, Charme und Entgegenkommen (was mit Bücklingen und devot-kriecherischem Verhalten ganz und gar nichts zu tun hat) umgibt, beruflich und auch sonst die besseren Karten haben. Und in Gesellschaft sind sie ohnehin lieber gesehen. Egal, wie emanzipiert man ist – es ist einfach eine nette Geste, wenn man in den Mantel geholfen bekommt, der Mann die Autotür öffnet und ein Gruß nicht mit einem genuschelten "Moin" beantwortet wird, sondern von einem Lächeln und einem kurzen Blick in die Augen begleitet wird.

Benehmen ist Mangelware geworden. Dabei ist Benehmen wie ein Gleis, auf dem man leichter durch den Alltag fahren kann. Wer von einer Einladung zum Firmenessen peinlich überrascht wird, hat ein Problem – er hat versäumt, sich die Grundkenntnisse menschlichen Zusammenlebens anzueignen und das kann fatal enden. Hier hilft Gottfried Weilenmanns Buch weiter. Er listet sie alle auf, die wesentlichen Regeln. Nicht im Knigge-Stil, nicht episch breit ausgewalzt, sondern übersichtlich, stichpunktartig und zum Nachschlagen vor dem entscheidenden Date bestens geeignet. Natürlich sollte man das Buch, so lange man noch lernt und übt, wie ein Arbeitsbuch benutzen und so ist es auch konzipiert.

Weilenmann ist kein Neuling auf dem Gebiet des guten Benehmens, er ist weitgereist und in vielen Kulturen in diplomatischen Fragen zu Hause gewesen. Das Buch ist aus der Praxis heraus entstanden und orientiert sich am wirklichen Leben, nicht am Standard einer Bussi-Gesellschaft oder Adelskreisen. Wer Anstand besitzt, achtet die Sitten, die die Gesellschaft zusammenhalten. Dass diese von Gesellschaft zu Gesellschaft variieren, liegt in der Natur der Sache, deshalb weist Weilenmann auch auf diese Punkte hin, so sie im normalen Leben vorkommen können. Aber unbestritten ist, dass ein Mensch, der sich durch sein Verhalten als angenehmer Zeitgenosse herausgestellt hat, mit wohlwollendem Entgegenkommen rechnen darf, wenn er einmal einen Fehler macht. Wer bislang durch schlechtes Benehmen, Unkultiviertheit oder gar Rüpelhaftigkeit aufgefallen ist, wird sicher immer und überall deutlich Ablehnung erfahren – und das wirkt sich auch auf jeden Aufstieg aus.

Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Fakten, Stichpunkten, Angaben, Hilfen und Geschichten aus Weilenmanns reichhaltiger Sammlung an Peinlichkeiten, Highlights, Glücksmomenten und anderen Erlebnissen. So ist es kurzweilig zu lesen und es macht Spaß, sich einige altbekannte Dinge wieder ins Gedächtnis zu rufen, andererseits ist es oft erschreckend, wenn man merkt, dass man den Wandel mancher Sitten gar nicht mitbekommen hat. Wie überall gilt vor allem beim guten Benehmen: Übung macht den Meister und nur das, was zur zweiten Natur geworden ist, kommt beim Gegenüber auch natürlich an. Ein Benehmen, das wie eine Maske übergestülpt wird, wird sofort durchschaut. Man sollte also entweder immer ein Gentleman sein oder sich wie eine kluge Frau verhalten oder eben weiterhin in low paid-Jobs seine Abend als Couchsitzer mit der Tüte Chips verbringen. Leben bedeutet Wahl und wer sich selbst an Regeln hält, kommt mit den Regeln anderer – bis hin zu denen der Gesellschaft – anders zurecht als jeder, der Regeln für antiquiert hält.

csc
05.03.2001

 
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Das Buch:

Gottfried Weilenmann: Gekonntes Benehmen heute

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Zürich: Orell Füssli 2001
Gebundene Ausgabe, 185 S.
ISBN: 3-280-02662-8

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