Autobiographie

Lauf, Kilian, lauf!

Es war einmal der Marathonlauf die ultimative Herausforderung im Ausdauersport. Jedoch ist das stupide Geradeauslaufen von zweiundvierzigtausendeinhundertfünfundneunzig Metern mittlerweile zur breitensportlichen Betätigung verkommen. Wer diesbezüglich etwas auf sich hält, der versucht sich heutzutage eher schon an einem Ironman oder sucht einen ambitionierteren Untergrund: Trailrunning heißt die neue Trendsportart, das stundenlange Laufen abseits der ausgetretenen Pfade durch die unberührte Natur und idealerweise gleich in seiner Extremform überlanger Strecken, sogenannter Ultratrailruns.

Der große Star des Trailrunnings und Seriensieger bei den bedeutendsten Ultratrailruns der Welt ist ein 160 Zentimeter großer und 55 Kilogramm schwerer Katalane: Kilian Jornet Burgada. Der im Jahre 1987 Geborene räumt, seitdem er volljährig ist, die großen Titel sowohl sommers im profilierten Trailrunning wie auch winters im Skibergsteigen ab. Um zu verstehen, wie ein Mensch die unglaublichen Strapazen eines 160 Kilometer langen und 9000 Höhenmetern umfassenden Laufs durch das Mont-Blanc-Massiv in Höchstgeschwindigkeit oder die Tortur einer Umrundung des knapp 500 Quadratkilometer großen Lake Tahoe im Westen der USA meistern kann, empfiehlt sich das gerade erschienene Buch "Lauf oder stirb" aus der Feder Kilian Jornets, das unglaubliche Einblicke in das Denken und Fühlen des katalanischen Superstars vermittelt.

"Lauf oder stirb" geht sogleich ins Eingemachte: Als erstes Kapitel hat Kilian Jornet sein sogenanntes "Manifest eines Trailrunners" gewählt, ein zweiseitiger Text, der einst an der Tür seines Zimmers hing und den er sich vor jedem Training vergegenwärtigte. Mit diesem masochistischen Pamphlet ist bereits alles angekündigt, was den Leser im vorliegenden Buch erwarten wird. Die Gedankenwelt eines Kilian Jornet wird für Normalsterbliche, die sich gelegentlich sportlich betätigen, nur schwer nachvollziehbar, ja schlicht unverständlich sein.

In den zehn folgenden Kapiteln des vorliegenden Buches plaudert Kilian Jornet dann aus seinem Läuferleben. Zu Beginn führt er aus, wie er bereits als kleiner Junge der Faszination extremer Ausdauerbetätigungen erlegen war, was schließlich kein Wunder ist, da er in spanischen Pyrenäen aufgewachsen war und schon als Sechsjähriger seinen ersten Viertausender erklommen hatte. So eroberte er zusammen mit Mutter und Schwester in den folgenden Jahren sukzessive Berg um Berg und entwickelte bereits in frühen Jahren die Grundlagen für seine späteren Erfolge, die sich dann auch nicht unerwartet schon als Jugendlicher einstellen sollten.

Kilian Jornet gibt in "Lauf oder stirb" einen sehr schmerzhaften Einblick in seine unglaubliche läuferische Pyrenäendurchquerung vom Mittelmeer zum Atlantik, lässt einen daran teilhaben, wie ihn die Höhenluft des Kilimandscharo beinahe schachmatt gesetzt hätte, als er sich an einem Rekordlauf auf das Dach Afrikas versuchte, und lässt den Leser mitleiden, wenn er die psychischen Schmerzen beschreibt, die er erlitt, als kleinkarierte Kampfrichter seinen ersten Sieg beim "UltraTrail du Mont-Blanc" verhindern wollten.

Es scheint, als ob bei Extremsportlern wie Kilian Jornet das Schmerzempfinden um ein Vielfaches nach unten gesetzt ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der der Katalane tagtäglich stundenlange Trainingsläufe bestreitet oder bei Ultraläufen über mehrere Tage nur mit einem Minimum an Nahrung und Schlaf auskommt, lassen einen glauben, dass ein Kilian Jornet entweder von einem anderen Planeten kommt oder von einer anderen Spezies abstammt. Doch wer genau liest, kann aus den Beschreibungen der Gedankenwelt Kilian Jornets auch etwas für seinen profanen Alltag mitnehmen, was die persönliche Einstellung zu unüberwindbar scheinenden Aufgaben betrifft.

"Lauf oder stirb" ist nicht nur die Aneinanderreihung von Erfolgsgeschichten aus der Karriere des Kilian Jornet, sondern zuvorderst ein Einblick in das Leben, Denken und Fühlen eines Extremsportlers in extremen Situationen. Kilian Jornet vermittelt sehr glaubhaft und leidenschaftlich seine Liebe zur Natur und zu seinem Sport, der für ihn persönlich gewiss das Lebenselixier ist. Dabei steckt er den Leser durch seine begeisternde Schilderung derart an, dass dieser kaum das Buch zu Ende lesen wird, ohne zuvor nicht mindestens einmal die Laufschuhe geschnürt und selbst genussvoll eine Runde durch die Natur gedreht zu haben.

Christoph Mahnel
27.05.2013

 
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Das Buch:

Kilian Jornet: Lauf oder stirb. Das Leben eines bedingungslosen Läufers. Aus dem Katalanischen von Katharina Förs und Barbara Reitz

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München: Malik Verlag 2013
224 S., € 18,99
ISBN: 978-3-89029-764-4

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