Autobiographie

Verstehen statt verletzen

Was hatte der Osten nicht, was der Westen hatte? Der Osten, auch der Osten, hatte den Pop. Hätte der Westen genauer hingeschaut, er hätte wissen können, was auf ihn zukommt. Auch die Künstler vom Schlage eines Lutz Dammbeck. Den schlugen, zumindest Kunstkenner des Ostens, dem Pop zu. Für den hatte sich der Leipziger Kunststudent und Experimentalfilmer empfohlen.

1986 übersiedelte der Künstler mit Frau und Tochter von Ost nach West, wo er nicht erwartet wurde. Ein knappes Jahrzehnt später sagte seine Frau Karin: "Vielleicht haben wir doch die Falschen unterstützt und mitgeholfen, die Richtigen zu Grabe zu tragen." Da war auch die Euphorie über die deutsche Einheit bereits verflogen. Der Satz macht heute noch hellhörig und ist für fortgesetzte Nachdenklichkeit gut geeignet. Aufbewahrt ist der Satz in Lutz Dammbecks Buch "Besessen von Pop".

Was zunächst wie eine vergnügten Sinnes verfasste Autobiographie anmutet, wird zunehmend zu einer analytischen Selbstdarstellung der künstlerischen Biographie als Dokumentarist. Die war und ist eine, die "unversehens und ungeplant" eine unabänderlich politische wurde. Welch ein Zwang! Welch ein Glück! Welch ein Pech! Dammbecks wollten nicht in den Westen. Sie wollten aus der DDR. Haben sie das nicht geschafft? Wie die vielen, die lebenslang nicht völlig aus der DDR wegkommen? Nicht zum persönlichen wie beruflichen Schaden, wenn man ein Mensch ist wie Lutz Dammbeck! 1948 in Leipzig geboren, dort groß geworden und studiert, hat den Nachdenklichen, Kritischen die DDR-Wirklichkeit geprägt.

Kunst und Macht sind Dammbecks Thema geworden und bestimmen die Ideen seines gesamten künstlerischen Schaffens. Was den Menschen zu dem Künstler machte, der über die "Selbstabschaffung und Selbstauslöschung" seiner Kunst nicht nur nachsinnt. Kapitel für Kapitel wird das im Buch immer dringlicher dargestellt. Die Dringlichkeit macht die Substanz der Lektüre aus. Die wird immer bedrohlich-bedrängender, weil das die Geschichten der Geschichte sind, die der Dokumentarfilmer wahrnimmt, derer er sich annimmt.

Lutz Dammbeck, der gern das Wort "Projektionsfläche" gebraucht, hat für das Buch das eigene Ich zur Projektionsfläche gemacht. Zum Vorteil der reflektierten Zeit-Geschichte, wenn sie die DDR-Geschichte ist. Kein Künstler aus der DDR hat so aufrichtig, so konzentriert, lakonisch spöttisch, atmosphärisch Stimmungen und Situation der Kunstentwicklung geschildert. Nicht nur der Leipziger Szene, die zu den regsten des Landes gehörte. Was der Autor über das Leipzig der 60er bis 80er Jahre, über das Messe-Milieu zu sagen weiß, wird Erinnerungen wecken und Einheimische noch heute staunen lassen.

Lutz Dammbeck hat genauer gesehen, genauer gehört, was er wahrnahm und nun anschaulich, unterhaltsam mitteilt. Vor allem seine frühen biographischen Stationen, die ihre Besonderheiten haben, obwohl sie in vielfacher Sicht DDR-typisch sind. Das Einzelne, Persönliche hat bei Dammbeck zumeist was vom Gemeinschaftlichen, Allgemeinen. Um Eigentliches, Wesentliches zu sagen, braucht der Autor keine ausschweifenden Erläuterungen. Er formuliert knappe Sätze, die eine kategorische Eindeutigkeit haben. Er braucht nicht viel Text, um viel zu sagen. Das ist für ihn am wenigsten schwierig, wenn er sich selbst als Subjekt der Geschichte betrachtet. Das wird für ihn eine knifflige Aufgabe, wenn er herauszufinden versucht, wann, weshalb und wie ein Künstler in die Abhängigkeit von Macht und Ideologie gerät.

Ach, was heißt Künstler! Lutz Dammbeck sieht den Menschen als Subjekt und Objekt jeglicher Zeit und ihrer Geschichten. Als Künstler, der ein Versteher und Verständiger ist, weiß er, wie schnell, wie leicht Menschen verletzen.

Bernd Heimberger
05.11.2012

 
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Das Buch:

Lutz Dammbeck: Besessen von Pop

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Hamburg: Edition Nautilus 2012
288 S., 18,00 Euro
ISBN: 978-3-89401-765-1

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