Autobiographie

Zeitzeugenbiografen geben nicht auf

Was Martin Schröder 2009 unter dem Titel "Ich glaubte ihnen allen nicht!" veröffentlicht hat, gehört zu den vielen Biografien, die erlebte deutsche Geschichte auf den Tisch legen. Sind es zu viele geworden? Wenn man an die gewaltige Erschütterung denkt, die an allen Fronten des Zweiten Weltkrieges, auch den inneren, stattgefunden hat, dann wird man sagen müssen: Es gehört alles auf den Tisch. Jeder hat das Recht, seine Sicht darzulegen und nach seiner Art abzurechnen oder auch verdienten Frieden zu finden. Und wenn die Zeugengeneration ausgestorben sein wird, gibt es noch genug Kinder und Enkelkinder, die über eigene Belastungen berichten können, über späte Schuldzuweisungen beispielsweise.

Das Buch des 1924 geborenen Ostpreußen folgt im Prinzip dem geschichtlichen Ablauf. Da gibt es einerseits die politisch-militärische Ebene, die Schröder nach vertiefter Buchlektüre stark präsent werden lässt. Hitlers Konfrontationskurs, Churchills Zurückschlagen, Stalins brutales Regime. Und da gibt es die private, persönliche Ebene, das kindliche Spielen, die Arbeit auf dem Feld, das so unendlich Schicksalshafte, wie es etwa in der eindrücklichen Episode mit dem davonfliegenden Brief zum Ausdruck kommt. Nach dem Heimaturlaub nimmt Schröder ein kleines Kopfkissen mit in den Krieg - das ist eine der hübschen Seiten jener Zeit. Doch da gibt es massenweise Krankheit und Hunger, Gewalt und Tod. Auf das Kriegsende folgt die Gefangenschaft bei den Amerikanern.

1950 heiratet Schröder, der Weg führt das Paar für ein paar Jahre in die Vereinigten Staaten und dann zurück nach Deutschland. Schröder beschreibt die entbehrungsreiche Zeit nach dem Krieg, aber auch die Rückkehr zur Normalität, die seltsam normal erscheinen will, mit lachenden Enkeln an gedeckten Tischen. Je näher die Biografie an die Gegenwart heranrückt, desto unwirklicher erscheint diese, hat man einmal über Gefechtslärm und Schmutz gelesen. Was mag sein Enkel sich vorstellen, wenn er den schreibenden Großvater vor sich hat, der so ganz anderes erlebt hat als er? Das ist nicht nur eine persönliche Angelegenheit der Schröders, das ist in Deutschland über Jahre hinaus für viele ein Vorgang geworden, mit jungen fragenden Blicken, die alle Rätsel entschlüsselt haben möchten.

Das Buch ist aber mehr. Es ist Ausdruck des Widerwillens gegen Desinformation und Manipulation, gegen bewusste falsche Gewichtungen, schlimme Zuweisungen und schiefe Bilder. Es steckt ein Aufbäumen in diesen Texten, ein Unglaube gegenüber Medien und viele andere Interpreten dieser bewegten Welt, ein Widerstand gegen Fehlaussagen hier und dort. Auch das erscheint als Mehrfrontenkrieg.

Die Sprache ist direkt, pointiert, schonungslos und ehrlich. Die böse Realität liegt zum Greifen nah, und in dieser Sprache findet die Hartnäckigkeit des Zeitzeugen ihren unmittelbaren Niederschlag. Fast scheint es - im Nachhinein, beim Weglegen des gelesenen Buches - so, als wollte der Autor das Zu-viel-Hinnehmen wettmachen und sich wehren, richtig stellen, sich wieder finden. Es fällt auf, wie häufig von diesem kollektiven Hinterherlaufen die Rede ist. "Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden, die Deutschen glauben sie", klagt Schröder.

Zahlreiche Briefe ergänzen den Lauftext der Biografie. Es gibt Briefwechsel interessanterweise mit dem großen Drewermann, es gibt aber auch Korrespondenzen mit Zeitungsredaktionen. In diesen Texten gibt sich Schröder nicht anders als im Buch. Auch hier hält sich der Autor, der auf den Vornamen Martin des großen deutschen Reformators getauft worden war, daran: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. So hält der Leser ein authentisches Buch in der Hand. Nun mag er selber redlich nach eigenen Interpretationen suchen.

Ronald Roggen
26.03.2012

 
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Das Buch:

Martin Schröder: Ich glaubte ihnen allen nicht!

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Halle (Saale): Projekte-Verlag Cornelius 2009
178 S., € 12,50
ISBN: 978-3-86634-773-1

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