Autobiographie

Zwischen paradiesischen Ausflüchten und sadomasochistischer (Sur-)Realität

Simone Schönfuss lässt den Leser in "Laut und deutlich" an einem der prägendsten Zeitabschnitte ihres Lebens teilhaben, der mit dem Umzug von ihrem Heimatdorf im Schwarzwald nach Westberlin im Jahre 1988 und im Alter von 26 Jahren beginnt. Von der Anfangszeit "vieler Entbehrungen" in einer 1-Zimmer-Wohnung mit ihrem Freund Otto über die ersten Joberfahrungen in der Großstadt als Sekretärin und Buchhalterin, über den Mauerfall und die Trennung von Otto, gelangt die Erzählerin schnell zum eigentlichen Thema ihrer Autobiographie: ihre Arbeit als Domina in einem der Studios für diesen Bereich des sexuellen Dienstleistungsgewerbes.

Völlig unabsichtlich rutscht sie, die als Telefonistin in einem dieser Studios beginnt, in diese Beschäftigung hinein. Sie berichtet auf objektive und nicht anzügliche Weise von den Ereignissen, die ihr in diesem Job widerfahren. Schockierende Begebenheiten wie die Überdosis einer jungen Kollegin oder die bestialische Enthauptung eines jungen Mädchens durch einen der Gäste stehen neben amüsant-grotesken Erzählpassagen über seltsame Gelüste einzelner Gäste. Bei dem Bericht über einen "Hausbesuch" bei dem der Gastgeber nackt bis auf zwei Pfauenfedern zwischen seinen Pobacken zu Musik aus dem 17. Jahrhundert tanzt oder über den Gast, der schlicht darum bittet, als Teppich behandelt zu werden, kann der Leser das Schmunzeln wohl kaum unterdrücken.

Neben ihrer Tätigkeit als Domina verbringt die Protagonistin einen Großteil ihrer Freizeit in dem Tätowierstudio von Theo. Dieser schmückt ihren Körper nach und nach mit den unterschiedlichsten Motiven und wird für einige Zeit ihr neuer Lebenspartner. Theos Kohlezeichnungen sind es auch, die der Autobiographie zusammen mit der Umschlaggestaltung durch den Bruder der Autorin eine sehr gelungene Aufmachung verliehen haben.

Im starken Kontrast zu ihrem Leben als Domina steht die Begeisterung der Erzählerin für das paradiesische Idyll der Malediven, auf die es sie dreimal verschlägt und die ihr immer als alternative Lebensform vorschweben, bis der Traum vom Auswandern aufgrund eines Wassersportunfalls mit gravierenden Folgen zunichte gemacht wird.

"Laut und deutlich" ist ein gelungener Versuch, die Welt der vermeintlich "Perversen" den Menschen näher zu bringen, die bis auf allgemeine Klischees nichts über diese Szene wissen. Obwohl die Erzählerin sich für eine größere gesellschaftliche Akzeptanz der Menschen, die Lust an Machtspielen und Schmerz haben, ausspricht, hält sie dennoch nicht mit den Risiken dieser Art der sexuellen Befriedigung hinter dem Berg. Denn aus lustvollem Schmerz kann schnell eine ernsthafte oder gar tödliche Verletzung werden.

Dieser Aspekt macht es nicht nur für den Außenstehenden, sondern auch teilweise für die Erzählerin selbst, die Schmerz durchaus mit Lust in Verbindung bringt, schwer eben diesen Menschen das uneingeschränkte Recht auf ihren eigenen Lebensstil zuzusprechen. Die allgemeine Skepsis gegenüber der sadomasochistischen Szene resultiert ja nicht zuletzt aus der rechtlichen und religiösen Grundüberzeugung unserer Gesellschaft, dass man anderen Menschen kein seelisches oder körperliches Leid zufügen sollte.

Die Danksagung, die in erster Linie ihrem Schutzengel Hadriel und Gott gewidmet ist, sowie die Passagen über ihre inständigen Gebete an Gott während einer Flugzeugnotlandung wirken in diesem Zusammenhang, als hätte die Autorin ihr Leben nicht nur als Aufklärungsversuch für die Leser, sondern auch als eine Art Beichtbericht mit kathartischer Wirkung für sich selbst geschrieben.

Welche Motivation auch überwiegen mag, dies ändert nichts daran, dass ihre Lebensgeschichte fesselnd ist und vermutlich auch ohne die ein oder andere detaillierte Beschreibung ihres Berufes ausgekommen wäre. Dennoch wäre es für den Leser sehr spannend, die Fortsetzung der Lebensgeschichte von Frau Schönfuss verfolgen zu können.

igo 
03.11.2002

 
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Das Buch:

Simone Schönfuss: Laut und deutlich. Autobiographie

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Frankfurt am Main: Cornelia Goethe Akademieverlag 2002 303 S. ISBN: 3-8267-5119-1

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