Autobiographie

Der Letzte seiner Art

Er war der letzte Innenminister der DDR, dessen Amtszeit nur ein knappes halbes Jahr währte, und ist heutzutage als erfolgreicher Rechtsanwalt tätig, der oft mit spektakulären Fällen von sich reden macht - das soll Peter-Michael Diestel erst einmal jemand nachmachen. Dass Diestel gelernter Melker ist und sich unter anderem als Schwimmlehrer und Bademeister verdingte, bevor er seine politische Karriere begann, gehört jedoch mit Sicherheit nicht zur Allgemeinbildung. 20 Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit soll "Diestel. Aus dem Leben eines Taugenichts?" nun der Öffentlichkeit ein Bild davon liefern, wer der erste und letzte demokratisch gewählte DDR-Innenminister wirklich war.

Zusammen mit seinem Co-Autor Hannes Hofmann hat Diestel einen beachtlichen Fundus an Material zusammengetragen, der auch Diestel-Neulingen problemlos begreiflich machen sollte, was für eine schillernde und oftmals eigenwillige Persönlichkeit am 18. März 1990 den Sprung in die politische Elite der DDR schaffte. "Diestel. Aus dem Leben eines Taugenichts?" beginnt mit einem "Diestel-Hymnos mit zehn Stimmen", sprich mit zehn Kommentaren über den Mann mit der genauso kurzen wie eindrucksvollen Politkarriere - von Lothar de Maizière bis zu Udo Beyer, dem ehemaligen Kapitän der DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft.

Hierauf folgen über 200 Seiten voller Anekdoten aus der wohl aufregendsten Zeit in Diestels Leben.

Was empfand er am Tag seiner Berufung zum Minister? Wie nahmen seine Untergebenen auf, dass sie nun der Befehlsgewalt eines oftmals nonchalanten und gerne aneckenden politischen "Greenhorns" unterstanden? Was waren Diestels Erfahrungen mit der Stasi und den "Schlapphüten", sprich dem Geheimdienst der DDR? Und was fühlte er an dem Tag, an dem nicht nur sein Posten als Innenminister, sondern auch das gesamte DDR-Regime der Vergangenheit angehörte? "Diestel. Aus dem Leben eines Taugenichts?" liefert die Antworten auf all diese Fragen mit hohem Unterhaltungswert und einem gehörigen Schuss Humor. Zahlreiche der Episoden aus Diestels reichem Erinnerungsschatz sind zudem betont skurril, so wie sein unverhofftes Zusammentreffen mit dem berüchtigten "Ibrahim Böhme" in einem "stillen Örtchen", das mit Sicherheit zu den absoluten Höhepunkten des Buchs zählt.

Wer sagt, dass Autobiographien eine langatmige und stets bierernste Angelegenheit sein müssen? Schon beim Lesen der ersten Seiten von "Diestel. Aus dem Leben eines Taugenichts?" wird der spritzig-humorvolle Stil deutlich, mit dem die Erinnerungen des letzten Innenministers der DDR-Geschichte präsentiert werden - und das ungeachtet, ob Diestel die Höhen oder die Tiefen seiner kurzen Politkarriere Revue passieren lässt. Auch eigentlich betont ernste Themen aus Diestels mehr als kurzer Amtszeit erhalten so einen markant unernsten Anstrich und werden so ein Garant für beste Unterhaltung. Das Ergebnis ist ein Lesevergnügen ohne jede Längen, das quasi nebenbei als reizvolles Zeitdokument fungiert, so dass auch der hartgesottenste Autobiographiemuffel damit rechnen muss, hier schwach zu werden. Alle Diestel-Fans dürfen so getrost zuschlagen und Liebhaber humorvoller Ostalgie sowieso.

Johannes Schaack
18.10.2010

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Peter-Michael Diestel, Hannes Hofmann: Diestel. Aus dem Leben eines Taugenichts?

CMS_IMGTITLE[1]

Berlin: Verlag Das Neue Berlin 2010
239 S., € 16,95
ISBN: 978-3-360-01998-1

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.