Autobiographie

Not macht erfinderisch

Ruth Reichl war viele Jahre Restaurantkritikerin und Redakteurin bei der Los Angeles Times, bis sie die einmalige Chance bekam, zur berühmt-berüchtigten New York Times zu wechseln. Anfangs unternahm sie alles Mögliche, damit sie bloß nicht genommen wird, aber auch dies half nichts: Ihr wurde ein Job als Restaurantkritikerin bei dieser renommierten Zeitung angeboten. Und schließlich nahm sie an. Doch aufgrund von Fahndungsfotos in den Restaurantküchen muss sie sich etwas einfallen lassen. Wie wäre es da mit einer Verkleidung? Diesen Auszug ihres Lebens schildert die gelernte Köchin in ihrem Buch "Falscher Hase. Als Spionin bei den Spitzenköchen".

Ruth Reichl befindet sich im Flugzeug auf dem Weg von Los Angeles nach New York, als eine Passagierin sie anspricht. Es ist inzwischen durchgesickert, dass die Köchin und Verfasserin diverser Kochbücher New Yorks Restaurantlandschaft genauer unter die Lupe nehmen wird. Dabei entscheidet sie über Aufstieg oder Niederlage eines Restaurants, indem sie entweder nur einen oder maximal vier Sterne vergibt. Doch da die Servicekräfte wissen, wie sie aussieht, und sie deshalb eine bevorzugte Behandlung erfahren würde, muss sich Ruth etwas einfallen lassen. Also klärt sie eine Freundin ihrer verstorbenen Mutter, eine Schauspielerin, über dieses Dilemma auf. Da bleibt dann doch nur noch eine Lösung: Ruth muss eine andere Person werden.

Gemeinsam kreieren sie Molly, eine ehemalige Englischlehrerin, deren Mann mit Grundbesitz ein Vermögen gemacht hat. In einem der teuersten Restaurants der Stadt machen sie die Probe aufs Exempel. Das Experiment gelingt: Ruth wird von den Angestellten nicht erkannt und wie ein ungebetener Gast behandelt. Als sie allerdings kurz darauf als Ruth Reichl selbst in das Restaurant geht, sind die Servicekräfte zuvorkommend, hilfsbereit und jederzeit an Ort und Stelle. Dementsprechend fällt die Rezension aus: nur drei, statt der vorherigen vier Sterne. Ein Skandal!

Mit der Zeit muss sich Ruth Reichl immer wieder neue Verkleidungen ausdenken. Sie wird zu ihrer eigenen Mutter, zur attraktiven blonden Chloe, zu Alt-Hippie Brenda, zu einer unsichtbaren alten Oma und vielen mehr. Dabei schafft sie es immer wieder, die Köche und Angestellten der Restaurants zu überlisten. Doch nicht nur dies macht ihr Leben aus. Neben ihrem Job kommen private Momente zum Vorschein, wenn ihr kleiner Sohn Witze erzählt und versucht, seine Mutter aufzuheitern. Oder das private Drama ihrer Freundin Carol, die an Krebs erkrankt, aber den Kampf nicht aufgibt.

Mit viel Witz und Charme erläutert Ruth Reichl ihre Verschleierungstaktiken. Dabei kommt keine knallharte Restaurantkritikerin zum Vorschein, sondern ein Mensch mit viel Herz. Die unterschiedlichen Verkleidungen bringen verschiedene Seiten in ihr zum Vorschein, manchmal gute, aber auch manchmal schlechte. Doch ergreifen diese keinen Besitz von ihr. Dafür sorgen ihr Mann, ihr Sohn und ihre Freunde. Das Buch wird einerseits ergänzt durch die in der Times veröffentlichten Rezensionen und andererseits durch einige Rezepte, die sich zum Nachkochen lohnen. Reichl gelingt es, ihre Geschmackserlebnisse so plastisch zu schildern, dass man sogleich in das Restaurant essen gehen möchte. Aber das geht leider nur in New York. "Falscher Hase" ist ein kleiner Restaurantführer der etwas anderen Art.

Susann Fleischer
02.02.2009

 
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Das Buch:

Ruth Reichl: Falscher Hase. Als Spionin bei den Spitzenköchen. Aus dem Amerikanischen von Theda Krohm-Linke

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München: Blanvalet Verlag 2008
384 S., € 7,95
ISBN: 978-3-442-37132-7

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