Medien & Gesellschaft

Eine bitterböse Abrechnung mit Deutschlands Gesundheitssystem und dem herrschenden Rechtswesen

Nach einem Schlaganfall liegt vor Johannes Schmidtke ein langer, leidvoller Weg. Doch bereits im Krankenhaus hat er Hürden zu überwinden, die immens hoch, ja, zu hoch wurden, wie sich erwies. In der Rehabilitationsphase sind eben diese Hindernisse nicht mehr zu bewältigen, nicht zuletzt weil das Personal sich nicht für das Wohl des Patienten verantwortlich sieht. Die Pfleger sind überfordert mit ihren täglichen Aufgaben, denn sie sind nicht richtig geschult und haben zudem ein enormes Arbeitspensum zu bewältigen. Nach Monaten hinter der Schulbank werden Frauen und Männer auf Kranke losgelassen, ohne zu wissen, was sie da eigentlich machen - und vor allem ohne Herz und Seele bei der Arbeit zu sein. Die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.

Die Arbeitsweise der Rechtsanwälte, an die Johannes Schmidtke sich zur Klärung der rechtlichen Lage in seinem Fall gewandt hat, darf - und muss man sogar - als äußerst fragwürdig und als zynische Groteske bewerten.

Wie eine Ergotherapeutin Herrn Schmidtke während einer Reha in einer Klinik in Krefeld erzählte, gehörte sie dem Stammpersonal dieser Klinik gar nicht an, sondern einer Leiharbeitsfirma für medizinisches Personal. Hätte sie dies nicht gesagt, wäre bei ihm der Eindruck geblieben, sie gehöre der Klinik an. So war es ein Zufall, dass er davon erfuhr. Um Lohnkosten, Verwaltungsaufgaben und wohl auch Verantwortung aus dem Wege zu gehen, rekrutieren Kliniken und Krankenhäuser Personal aus Leiharbeitsfirmen für diesen Bereich. Daher ist es unmöglich, dass sich ein Behandler in die gesundheitlichen Gegebenheiten des jeweiligen Patienten hineinversetzen kann, wenn er heute von diesem und morgen von einem anderen behandelt wird. Selbst nach drei Wochen Rehadauer ließen sich Therapeuten von Herrn Schmidtke noch immer schildern, weshalb er diese Reha nun mache und was ihm fehle. Es ist nicht nur maßlos unverschämt, es zeigt auf, wie mit Patienten aus Übermut makabre Scherze getrieben werden.

So hat Johannes Schmidtke mit schlimmen Schmerzen aufgrund eines Blasenkatethers zu kämpfen. Doch bevor sich jemand seines Problems annimmt, scheint das Frühstück wichtiger. Nicht der einzige Vorfall während der acht Woche Reha: Man wird in einem Flur abgestellt, und erst Stunden nach nicht erfolgter Physio- oder Ergotherapie wieder abgeholt. Bei vielen der anderen "Mitinsassen" erfolgte keine Besserung des Gesundheitszustandes, sondern zwangsläufig eine Verschlechterung. Die Zusammenarbeit mit einem Sanitätshaus diente zu beiderseitiger Bereicherung. Aber das wirklich schlimme: Die Krankenkassen wussten von katastrophalen Zuständen, sahen und sehen keine Notwendigkeit, etwas zu unternehmen, zumindest bis jetzt. Wahrlich ein Verbrechen ...

"Der Fall Schlaganfall" zeigt uns, dass es in Sachen Gesundheit kurz vor zwölf ist. Es steht alles andere als zum Besten mit dem Gesundheitssystem. Es muss gehandelt werden, bevor es zu spät ist. Johannes Schmidtke gibt mit seinem Buch einen Impuls dazu. Satz für Satz schüttelt man entgeisterter den Kopf über die katastrophalen Zustände und Rehaeinrichtungen und ebenso Krankenhäusern. Zwar bezieht sich der Inhalt ausschließlich auf eine bestimmte Klinik, aber diese steht exemplarisch für unzählig viele andere. Damit die Kranken, egal, ob gesetzlich oder privat krankenversichert, nicht mehr "Patienten zweiter, dritter oder gar vierter Klasse" sind, muss etwas geschehen. Dieses Buch ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Normalerweise steht in Johannes Schmidtkes Büchern die Harmonie im Vordergrund. Doch "Der Fall Schlaganfall" ist so vollkommen anders als "Wanderung durch den Geschichtenwald", "Die Reise zwischen den Jahren" oder "Die Erlebnisse einer Familie Klüver". Der Autor rechnet hier mit dem hiesigen Gesundheitssystem ab. Er lässt kaum ein gutes Wort an Ärzten, Pflegern, Sozialdiensten und anderen Mitarbeitern in unseren (Reha-)Kliniken - und rüttelt diese so hoffentlich endlich wach.

Anja Rosenthal
19.12.2016

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Johannes Schmidtke: Der Fall Schlaganfall. Studie eines Verbrechens

CMS_IMGTITLE[1]

Borsdorf: edition winterwork 2016
204 S., € 17,90
ISBN: 978-3-96014-201-0

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.