Medien & Gesellschaft

Damals bei Olympia 76

Was Horst Hrubeschs Jungs in Rio verwehrt blieb, das gelang einer deutschen Auswahl vor ziemlich genau 40 Jahren, nämlich olympisches Gold im Fußball zu erringen. Anno 1976 bei der XXI. Olympiade im kanadischen Montreal gelang der Auswahl der Deutschen Demokratischen Republik dieses Husarenstück. Mit einem 3:1-Finalerfolg über die favorisierte polnische Mannschaft holten sie eine von insgesamt vierzig Goldmedaillen für ihr Land während des sechzehntägigen Wettstreits, in dem die Jugend der Welt ihre Besten ermittelte. Die UdSSR komplettierte als Drittplatzierter das rein osteuropäische Podium. Seinerzeit erlaubte das IOC im olympischen Fußball-Turnier lediglich Amateursportler, so dass besagte Länder, deren Kicker als sogenannte Staatsamateure firmierten, quasi ihre A-Nationalmannschaften an den Start bringen konnten, während die gängigen Fußball-Großmächte mit Amateur-Auswahlmannschaften antreten mussten.

Die Siebziger Jahre kennzeichneten zweifelsohne die erfolgreichste Epoche des DDR-Fußballs. Natürlich erinnert man sich dabei vor allem an den Auftritt bei der Weltmeisterschaft 1974 im Westen des geteilten Landes und den 1:0-Erfolg über den Gastgeber in der Vorrunde. Aus demselben Jahr resultiert ebenfalls der größte Erfolg einer Vereinsmannschaft, als nämlich der 1.FC Magdeburg im Finale des Europapokals der Pokalsieger den AC Mailand mit 2:0 unsanft zur Landung brachte. Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs waren in diesen Jahren auch die deutsch-deutschen Duelle im Europapokal stets große und viel beachtete Attraktionen. So erledigte der FC Bayern auf dem Weg zu seinem ersten Landesmeister-Triumph mit Dynamo Dresden den amtierenden DDR-Meister nur mit Müh' und Not in Hin- und Rückspiel.

Uwe Karte, Jahrgang 1966, war beim Triumph der DDR-Kicker in Montreal gerade einmal zehn Jahre alt. Doch zog ihn dieser Titelgewinn damals sowie zeit seines Lebens so sehr in den Bann, dass er, gestandener Sport-Journalist und Filmemacher, den Entschluss fasste, zum vierzigjährigen Jubiläum ein Buch über diesen Olympiasieg zu schreiben. Dazu ist er einen sehr persönlichen Weg gegangen, der bereits in seinen einleitenden Worten deutlich zu Tage tritt, wenn er beschreibt, wie er damals im Jugendlager im Harz vom Finalsieg erfuhr. Auch die persönliche Integration vieler Helden von damals gibt dem vorliegenden Buch diese besondere Note, die im Titel zum Ausdruck kommt: "Montreal privat" kommt auch aufgrund des gewählten Querformats wie ein privates Foto-Album daher, das um Texte angereichert wurde, die vor Leidenschaft und Wissen um die Materie nur so strotzen.

Der Autor hat viele der heute in den Sechzigern und teilweise auch schon in den Siebzigern befindlichen Herren in den vergangenen zwei Jahren selbst getroffen, gesprochen und um persönliche Aufnahmen aus dieser Epoche gebeten. Dabei ist ein Buch herausgekommen, das über das eigentliche Thema hinaus als ein wunderbares zeitgeschichtliches Dokument brilliert. Im Zentrum dieser Zeitreise stehen die Jahre 1973 bis 1977, die gut und gerne als die goldenen Jahre des DDR-Fußballs bezeichnet werden dürfen, obgleich es auch in dieser Zeit Rückschläge gab, die nicht verschwiegen werden. Der Anspruch der DDR-Sportoberen war stets extrem hoch, so dass die später erfolgreichen DDR-Olympioniken nach ihrem torlosen Unentschieden gegen Brasilien zum Auftakt des olympischen Turniers zum Rapport bei Manfred Ewald antreten mussten. Nun ja, vielleicht war dies genau der entscheidende Funken an Motivation, den die Mannschaft noch benötigte, um am Ende Gold zu erringen.

"Montreal privat" ist als Hommage an vergangene Zeiten für die diejenigen Fußballfreunde aus dem Osten Deutschlands, die vor vierzig Jahren den Fußball in der DDR hautnah mitverfolgt hatten, sicherlich ein Druck auf die Tränendrüse. Doch auch andere Freunde des runden Leders werden an diesem emotionalen Buch über ein Thema mit relativ bescheidenem Bekanntheitsgrad sicherlich ihre Freude haben, wenn sie den Weg der DDR-Fußballer durch das olympische Turnier begleiten. Dabei stellt sich nämlich heraus, dass die DDR einst auf ihrem Triumphzug einige spätere Weltstars des Fußballs in die Schranken wies, sei es der Brasilianer Junior, der spanische Nationaltorwart Arconada, der ukrainische Flügelflitzer Oleg Blochin, der polnische WM-Torschützenkönig Gregorz Lato oder gar Michel Platini, einer der zwei besten französischen Fußballer aller Zeiten. Sie alle scheiterten an der Gemeinschaft von siebzehn DDR-Fußballern, die das bisher einzige Männer-Gold einer deutschen Mannschaft im Fußball bei Olympia einheimsten. Einer von vielen Gründen, in diesem rundum gelungenen Buch stundenlang zu schwelgen.

Christoph Mahnel
29.08.2016

 
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Das Buch:

Uwe Karte: Montreal privat

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Göttingen: Die Werkstatt 2016
192 S., € 19,90
ISBN 978-3-730-70301-4

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