Medien & Gesellschaft

Der Märchenerzähler , der den Krieg entschied

Knapp fünf Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bildete ein gewaltiges Täuschungsmanöver der Alliierten die Grundlage für den entscheidenden Wendepunkt im größten Töten der Menschheitsgeschichte. Um ihre Landung in der Normandie überhaupt zu ermöglichen, hatten die Alliierten über lange Zeit hinweg die Deutschen vollends in die Irre geführt. Scheinarmeen, fingierte Truppenbewegungen und Funkverkehr hatten die Wehrmacht glauben lassen, dass der Einfall an anderer Stelle stattfinden werde. In Konsequenz trafen die alliierten Truppen am 6. Juni 1944 bekanntlich nur auf wenig Gegenwehr an der Küste der Normandie, was schließlich das rasche Kriegsende nicht einmal ein Jahr später einleitete.

Eine Schlüsselrolle in diesem Verwirrspiel der Alliierten nahm der 1912 in Barcelona geborene Joan Pujol Garcia ein. Der Katalane hatte im Jahre 1941 eine Agententätigkeit für das Deutsche Reich aufgenommen, dabei aber von Anfang an die Absicht gehegt, diese Position auszunutzen, um für die Alliierten als Doppelagent auf den Plan zu treten. Im Laufe der Kriegsjahre fütterte er die Deutschen von London aus mit Märchenbüchern an Informationen, dass es einem schwerfällt zu glauben, dass die Abwehr des Deutschen Reichs diesen Schwindel für bare Münze nehmen konnte.

Der renommierte deutsche Journalist Arne Molfenter hat sich der unglaublichen Geschichte des Mannes, der für die Engländer unter dem Decknamen "Garbo" agierte, angenommen und im vorliegenden Buch zu Papier gebracht. Es erscheint einem ob der Vielzahl an Büchern und Fernseh-Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg völlig unmöglich, dass diese kriegsentscheidende Person und seine Bedeutung für den Kriegsausgang kaum bis überhaupt nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. Molfenter füllt mit "Garbo, der Spion" eine wichtige Lücke in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg.

Ohne Übertreibung hätte "Garbo" auch als Märchenerzähler reüssieren können. Er ließ seinen deutschen Kontaktpersonen nicht nur erfundene Informationen in Form von ausschweifenden Berichten zukommen, sondern machte sie auch glauben, dass er auf der britischen Insel ein riesiges Netzwerk an Agenten unterhalte, von denen er Unmengen an Informationen aus allen Winkeln des Königreichs erhalte. Keiner seiner Agenten existierte wirklich, stattdessen musste "Garbo" sich zahlreiche Lebensläufe und -geschichten für seine "Mitarbeiter" ausdenken und über die Jahre hinweg weiterentwickeln.

Spannender als ein Agentenroman zeigt diese Geschichte aus der Realität des Zweiten Weltkriegs, wie sehr Spionagetätigkeiten ein Tanz auf der Rasierklinge sind. "Garbo" und seine Hintermänner vom britischen Geheimdienst mussten stets abwägen, wieviel Fiktion und wieviel Wahrheitsgehalt sie den Deutschen zumuten konnten. Mehrfach waren "Garbo" und sein fingiertes Agenten-Netzwerk kurz davor aufzufliegen, doch sowohl mit Glück und Geschick als auch dank einer ungeheuerlichen Portion Naivität auf Seiten der Wehrmacht konnte "Garbo" seine Rolle aufrechterhalten, um mit seinen Fehlinformationen schließlich im Jahre 1944 die Deutschen davon abzuhalten, ihre Truppen an der Küste der Normandie zu verstärken.

Molfenter gelingt es hervorragend, die Geschichte von "Garbo" spannend und leicht verdaulich rüberzubringen. Mit gut 250 Seiten überzieht er auch nicht die Aufmerksamkeit seiner Leser, sondern hält sie begeistert unter Kontrolle. Er kombiniert gute Recherchearbeit mit einem ausgefeilten Schreibstil, so dass der wissbegierige Leser das Buch kaum aus der Hand legen wird. Wer bislang glaubte, alles Entscheidende über den Zweiten Weltkrieg schon tausendfach gehört und gelesen zu haben, aber "Garbo" nicht kannte, der wird ohne Wenn und Aber diese Wissenslücke nun mit Arne Molfenters Buch schließen müssen.

Christoph Mahnel 
26.05.2014

 
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Das Buch:

Arne Molfenter: Garbo, der Spion

München: Piper Verlag GmbH 2014
288 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-492-05583-3

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