Medien & Gesellschaft

Alle – vier – Jahre wieder

Die bevorstehende Fußball-WM in Brasilien wirft bereits jetzt – mehr als ein halbes Jahr vor dem Anstoß der ersten Partie am 12. Juni kommenden Jahres – ihre Schatten voraus. In bisher 19 WM-Turnieren, an denen die deutsche Nationalmannschaft bis auf zwei Ausnahmen stets mit am Start und durchweg ziemlich erfolgreich war, sind seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts so manche Helden geboren worden, tragische inklusive. Sascha Theisen hat sich auf die Suche begeben, 50 deutsche WM-Helden zu porträtieren. Dabei reicht die Riege der Legenden von Edmund Conen, dem 1934 im Spiel gegen Belgien der erste Hattrick bei Fußball-Weltmeisterschaften gelang, bis hin zu den Stars der Gegenwart wie Mesut Özil, Bastian Schweinsteiger oder Thomas Müller, die beim bisher letzten Turnier in Südafrika für magische Momente sorgten.

Im einführenden Vorwort beschreibt Sascha Theisen, Jahrgang 1970, sehr eindringlich seine Faszination für WM-Turniere, der er von Kindesbeinen an erlegen war. Bei seiner ersten intensiv verfolgten WM 1982 in Spa-nien erlebte er mit den Schumachers, Rummenigges und Fischers die gesamte Palette von peinlichen Pleiten bis hin zu heroischen Siegen. Diese Bandbreite an Emotionen scheint ihn für sein Leben geprägt zu haben, so dass er wie Milliarden anderer Erdbewohner alle vier Jahre wieder in den Bann des größten Sport-ereignisses dieses Planeten gezogen wird.

Fußball-Weltmeisterschaften teilen für Enthusiasten wie Theisen die Zeitrechnung in äquidistante Abschnitte von vier Jahren ein, die zwischenzeitlich mit den notwendigen Qualifikationsrunden gefüllt werden. Obgleich bei den um zwei Jahre versetzt stattfindenden Fußball-Europameisterschaften mitunter eine viel höhere Leistungsdichte vorherrscht, erreicht dieser kontinental limitierte Wettbewerb keineswegs den Stellenwert des globalen Turniers. Hätte Oliver Bierhoff sein Golden Goal in einem WM-Finale erzielt, wäre sein Bekannt-heitsgrad und Stellenwert im deutschen Fangedächtnis mutmaßlich ungleich höher.

Sascha Theisen beschränkt sich in seinem Werk jedoch nicht nur auf Spieler, die mit ihren Paraden oder spielentscheidenden Treffern ein Halbfinale oder Finale für Deutschland entschieden haben, sondern räumt auch denjenigen Raum ein, die einfach nur für besondere Momente stehen oder den Funken der Begeisterung entzündet haben. Beispielsweise lässt er Oliver Neuville mit seinem Tor in der Nachspielzeit des zweiten Vorrundenspiels gegen Polen als denjenigen hochleben, der bei der WM 2006 das Sommermärchen ins Rollen brachte. Auch der vielgeschmähte Lukas Podolski wird von Theisen nicht zu Unrecht als der "Tipping Pointer" bezeichnet, als derjenige, der in den Lage ist, den Bock umzustoßen, wie man diese neudeutsche Floskel ein wenig profaner umschreiben könnte.

Neben den Spielern finden wie nicht anders erwartet auch einige Trainer Einlass in Theisens Halle der Fünfzig. Darüber hinaus sind aber auch Masseure und Schiedsrichter mit am Start. Die rheinische Frohnatur Walter Eschweiler hatte als Pfeifenmann bei besagter WM in Spanien nach dem Zusammenstoß mit einem peru-anischen Spieler mit einer astreinen Rolle rückwärts für Furore gesorgt. Atmosphäre und Leidenschaft des Spiels werden nicht selten durch die Fernsehkommentatoren ins heimische Wohnzimmer transportiert. Im Zuge dessen ehrt Theisen mit Kurt Brumme, dem unvergessenen Herbert Zimmermann ("Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen") und Heribert Faßbender drei Helden des Mikrofons. Letzterer erlangte durch seine Kommentierung des deutschen Achtelfinals gegen die Holländer im Mailänder San Siro Berühmtheit, als er aus seinem Herzen ob der groben Benachteiligungen, die die deutsche Mannschaft auf dem Weg zum bislang letzten Titel hinnehmen musste, keine Mördergrube machte.

Theisens Buch ist keine schlichte Zusammenstellung der besonderen Spiele und Spieler in der deutschen WM-Historie. Man merkt dem Autor vielmehr an, mit wie viel Herzblut und Hingabe er diese knapp 200 Seiten komponiert hat. Man leidet beim Lesen förmlich mit Hans-Peter Briegel, der "Walz aus der Pfalz", wie er 1986 mit seinem verzweifelten Sprint gegen Jorge Burruchaga kurz vor Ende des WM-Finals in der Höhenluft von Mexico City beinahe noch erfolgreich gewesen wäre, um nur kurz darauf zu realisieren, dass die Argentinier den entscheidenden Schlag gesetzt hatten, und Briegel nach Spielschluss seinen Rücktritt aus der National-mannschaft verkündete.

Doch auch ein Fußball-Maniac wie Sascha Theisen ist nicht gegen Fehler in seinen Ausführungen gefeit. So schiebt er die mitunter das Halbfinale der WM 1958 gegen Schweden spielentscheidende Rote Karte fälschli-cherweise Horst Szymaniak zu, obgleich Erich Juskowiak derjenige war, der seine Nerven nicht im Zaum hatte und den ersten Platzverweis eines deutschen Spielers bei einer Fußball-Weltmeisterschaft hinnehmen musste. An anderer Stelle wird erwähnt, dass Miroslav Kloses fußballerische Wurzeln angeblich beim FC 08 Bad Homburg liegen. Doch hatte dieser seine fußballerischen Gehversuche nicht im noblen Kurort im Taunus unternommen, sondern im saarländischen Homburg. Schade, doch trübt es nur kurz den hervorragenden Gesamteindruck, den dieses großformatige und mit großem Herzen für den Fußball verfasste Werk hinterlässt.

In den kommenden Monaten wird dieses Buch gewiss die Träume der deutschen Fußballfans befeuern, auf dass im Anblick einstiger Heldentaten während der WM in Brasilien neue Momente für die Ewigkeit fabriziert werden mögen. Gerne möchte man daher einem Mario Götze oder einem Marco Reus dieses Buch unter die Nase halten mit der flehentlichen Bitte, im kommenden Sommer dem Werk weitere Kapitel hinzuzufügen, dabei idealerweise in Jubelpose und mit dem Weltpokal in Händen abgelichtet.

Christoph Mahnel
16.12.2013

 
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Das Buch:

Sascha Theisen: Helden – 50 deutsche WM-Legenden

Göttingen: Die Werkstatt 2013
176 S., € 19,90
ISBN: 978-3-730-70063-1

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