Medien & Gesellschaft

Ein Katalane in Bayern

Um seine Ankunft im vergangenen Sommer wurde ein noch nie dagewesenes Aufhebens gemacht, dass man ob seiner Medienpräsenz glauben musste, der Messias höchstpersönlich sei in München gelandet. Doch besteht seine Aufgabe lediglich daran, einen hohen Besitzstand zu wahren und keinesfalls einen Weg aus dem Tal der Tränen zu weisen. Jose Guardiola i Sala, gemeinhin und besser als "Pep" bekannt, ist seit wenigen Wochen der neue Fußball-Lehrer beim letztjährigen Triple-Gewinner FC Bayern München. Seine erste Pressekonferenz am 24. Juni 2013 wurde zu einem medialen Großereignis und in den sich anschließenden Wochen des journalistischen Sommerlochs wurde seinen Anweisungen bei den Trainingseinheiten am Gardasee in Funk und Fernsehen gefühlt mehr Platz eingeräumt als Angela Merkel und Co.

Entsprechend viele Berichte über den katalanischen Wundertrainer fanden sich in den einschlägigen Gazetten und im weltweiten Netz. Was davon stimmte und was davon dem ehemaligen Spieler und Trainer des FC Barcelona nur angedichtet wurde, konnte der gemeine Leser nur schwer unterscheiden. Schließlich hatte der Hype um "Pep" Ausmaße angenommen, so dass sich selbst der mit allen Wassern gewaschene Guardiola in höchster Geduld üben musste im Hinblick auf das, was über ihn hereinbrach. Für den Fußball-interessierten Leser jedoch war es maximal verwirrend, was über den Mann kolportiert wurde, der das funkelnde Erbe Jupp Heynckes' verwalten und möglichst bereichern soll.

Im Wust dieser Veröffentlichungen, Reportagen und Porträts findet der Leser wie gewohnt beim Göttinger Verlag Die Werkstatt seine verlässliche Quelle. Kurz nach Saisonstart hat dort nämlich Dietrich Schulze-Marmeling seine Guardiola-Biographie veröffentlicht. "Guardiola. Der Fußball-Philosoph" heißt das gut 230 Seiten starke Porträt und im gewohnten Stil verfasste Werk über den Mann, der ein Kind des FC Barcelona ist und dort alle Weihen als Spieler wie auch später als Trainer erfahren hat. Die Liste der Erfolge Guardiolas ist derart lang, dass Schulze-Marmeling diesen am Ende des vorliegenden Buches einen separaten Abschnitt gewidmet hat.

Zum Buch selbst: Der Autor beginnt seine Erzählung in den Jugendjahren des schlaksigen Guardiolas, dem nur wenige Trainer und Beobachter aufgrund seiner Defizite in Sachen Schnelligkeit und Physis eine große Karriere beschieden hatten. Doch war es ausgerechnet der große Johan Cruyff, seinerzeit Trainer und auf Ewigkeiten die graue Eminenz beim FC Barcelona, der erkannt hatte, dass Guardiola eine seltene Spielintelligenz besitzt, die ihm die Tür zu dem Klub öffnete, der in Katalonien das allerhöchste Kulturgut darstellt. Schulze-Marmeling schildert eindrucksvoll, wie Guardiola als Spieler unbedingt jede Anweisung des Trainers verstehen wollte. Dabei ging er manchem Mitspieler, der Übungen und taktische Vorgaben einfach und ohne Nachfrage umsetzte, bisweilen gewaltig auf die Nerven.

So entwickelte sich Guardiola aus einem physisch nur mittelmäßig prädestinierten Fußballer zum Hirn des FC Barcelona. In der Folgezeit legte er bereits den Grundstein für seine noch erfolgreichere Trainerkarriere. Schulze-Marmeling nennt mit Cruyff und dem Basken Lillo sowie den drei Argentiniern Bielsa, Menotti und La Volpe die fünf Trainer, die Guardiola für sein System und seine zukünftige Trainerarbeit am meisten beeinflusst haben. Derjenige Trainer, dessen Methoden denen Guardiolas am deutlichsten diametral gegenüberstehen, ist der Mann, der ihn womöglich zur Flucht aus Spanien bewegt hat. Gegen den Portugiesen José Mourinho, seinerzeit Trainer von Real Madrid, des größten Konkurrenten Barcas, hat Guardiola innerhalb weniger Jahre insgesamt 15 meist hochbrisante Spiele von der Trainerbank aus führen müssen.

Der große Konflikt: Mourinho versus "Pep"

Dietrich Schulze-Marmeling beschreibt sehr gut nachvollziehbar die grundlegenden Unterschiede in den Wesen beider Star-Trainer. Dabei verlässt Guardiola den Platz nicht nur sportlich meistens erfolgreich, sondern vor allem auch charakterlich sehr ehrenhaft. Den ständigen Provokationen und Rüpeleien Mourinhos begegnete Guardiola mit stoischer Gelassenheit, obgleich es in seinem Inneren brodelte. Letztlich haben ihn die vier Jahre auf der Trainerbank der katalanischen Weltklasseauswahl inklusive der Reibereien mit Mourinho derart ausgebrannt, dass er Spanien den Rücken kehrte und als Privatmann nach New York ging, wo nach einigen Monaten der Fußball-Abstinenz der Kontakt zum FC Bayern München immer konkreter wurde.

Genau an dieser Stelle hebt sich der Autor dank seiner hervorragenden Quellen deutlich von den sonstigen Guardiola-Experten ab. Die Einblicke, die Schulze-Marmeling zur Entstehung des Bayern-Coups liefert, gehören zu den Highlights des vorliegenden Buches. Was am 16. Januar 2013 wie eine Bombe einschlug - nämlich, dass "Pep" Guardiola neuer Bayern-Trainer werde -, hat schließlich eine Vorgeschichte, und diese wird von Schulze-Marmeling mit einigen interessanten Neuigkeiten ausführlich geschildert. Darüber hinaus hebt sich der Autor als fußballtaktischer Experte mit seinen Analysen der verschiedenen Spielsysteme des Trainers Guardiola von der breiten Masse ab.

"Guardiola. Der Fußball-Philosoph" ist genau das Richtige für jenen Fußball-Freund, der sich über den Wust an Beiträgen ärgert, die gegenseitig voneinander abgeschrieben sind und in denen sich schlecht recherchierte Halbwahrheiten ungeniert fortpflanzen können. Das vorliegende Buch bereitet dem interessierten Leser die ideale Start-Information für die neue Epoche des FC Bayern München, die von einer maximalen Erwartungshaltung geprägt sein dürfte und in der es zum einen darum geht, den unersättlichen Titelhunger von Verein und Fans zu stillen, und zum anderen eine brillante Mannschaft auf ein noch höheres spielerisches Level zu bringen - ähnlich dem, auf das Guardiola einst den FC Barcelona geführt hatte.

Christoph Mahnel
09.09.2013

 
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Das Buch:

Dietrich Schulze-Marmeling: Guardiola. Der Fußball-Philosoph

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Göttingen: Die Werkstatt 2013
256 S., € 14,90
ISBN: 978-3-7307-0042-6

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