Medien & Gesellschaft

Sprache und Religion

Die Autorin Sevinc Neumann stammt aus einer t?rkisch-iranischen Familie, ist aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. In ihrem intelligenten und am?santen Buch "Moslem oder M?sl?man?" schildert sie ihre Kindheit, welche zwischen zwei Sprachen stattfand. Aber nicht nur zwei verschiedene Sprachen verwirrten sie, sondern auch die unterschiedlichen Kulturen - vor allem als sie mit der Entdeckung der sprachlichen Unterschiede auch ihre eigene und die fremde Religion entdeckte.

Sevinc Neumann kann sich gl?cklich sch?tzen: Zwar sind ihre Eltern beruflich sehr eingespannt, so dass sie viel von ihren Geschwistern betreut wird, aber die Familie ist sehr liberal eingestellt und geht auf ihre Kinder ein. Sevinc ist ein reges und neugieriges Kind und freut sich schon auf die Schule, mit der sie allerdings schnell Probleme bekommt. Das liegt nicht nur daran, dass ihr dieses Milieu fremd ist, sondern auch einige der deutschen Begriffe. Im Laufe der Zeit wird das auch nicht unbedingt einfacher, da die W?rter an Komplexit?t gewinnen. Weil ihre Eltern nicht gut deutsch sprechen und ihr dementsprechend keine ?bersetzung dieser Begriffe liefern k?nnen, muss sich Sevinc die Bedeutungen selbst erarbeiten. Das sch?rft ihr Denken, was ihr insbesondere zu Gute kommt, als sie feststellt, dass sie nicht am Religionsunterricht teilnehmen darf. Denn sie ist Moslem. Aber was ist das? Ist das ansteckend? In der Erforschung der eigenen Religion stellt sie auch Vergleiche mit den anderen Glaubensrichtungen an.

Sevinc Neumanns autobiographisches Buch "Moslem oder M?sl?man?" ist im positivsten Sinne zeitlos. Auch wenn sie von sich selber berichtet und eigene Erlebnisse schildert, so ist die Thematik generell doch aktuell und wird es wohl auch immer sein. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Immer wieder wird auf der gesellschaftlichen Ebene eine Diskussion ?ber Kinder von Migranten und ihr Aufwachsen in einem kulturell und sprachlich fremden Land auftauchen und gef?hrt werden. Das ist auch notwendig, um Verbesserungen der Lage zu erm?glichen. In diesem Buch wird der Blick auf die sprachlichen Schwierigkeiten gelenkt, welche Migrantenkinder in einer deutschen Schule haben (k?nnen). Des Weiteren geht es auch um Religionen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede, deren Vergleich erstaunliches zutage bringt. In Zeiten in denen immer wieder gro?e gesellschaftliche Risse auftreten und Religion erneut stark instrumentalisiert wird, ist das besonders wichtig.

Es geht nicht nur um das Aufwachsen in einer multikulturellen Gesellschaft und die Schwierigkeiten gleich in zwei Sprachen zu Hause zu sein. Das Buch spielt zwar Ende der 1970er - die Autorin ist Jahrgang 1972 -, aber die Grundprinzipien sind immer gleich. Vor allem dem deutschen Muttersprachler k?nnen hier Einblicke gegeben werden, wie es ist, zwei Sprachen unter einen Hut bringen zu m?ssen, wenn es niemanden gibt, der den Begriff in einer anderen Sprache erkl?ren kann. Das f?hrt durchaus zu tragikomischen Situationen der jungen Sch?lerin, was das Lesen dieses Werkes eindeutig f?rdert. Die Entdeckung der Sprache und der Besch?ftigung mit ihr erm?glicht es auch, die Konfrontation mit Glaube und Religion zu verarbeiten. Sicherlich ist nicht jeder potentielle Leser so sehr auf der Sinnsuche und besch?ftigt sich vielleicht nicht so sehr mit der Religion, da er schon sehr s?kularisiert ist.

Die Autorin trifft gut den Ton einer Sch?lerin, die verwirrt ist von den vielen verschiedenen Aspekten der Religionen und sich zwischen denen ihren Weg sucht. Sicherlich sind die Familie, das Bestreben wie auch das Wesen der Protagonistin nicht typisch f?r andere. Jede Person ist nun mal anders. Aber es zeigt dennoch die Schwierigkeiten der Thematik auf. Das ist mal lustig, mal tragisch und oft auch zwischen den Polen wechselnd - etwa wenn die eigene Gro?mutter ihre Enkelin f?r einen Teufel h?lt, weil diese eine theologische Frage gestellt hat -, aber immer interessant. Egal ob nun die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede zwischen den Religionen entdeckt werden, etwa die Rolle von Jesus sowohl im Christentum als auch im Islam. Zudem wird die Sensibilit?t des Lesers auch f?r andere Bereiche gesch?rft, etwa im Umgang mit Feiertagen. Vor allem ist das Buch auch voller Hoffnung, indem es aufzeigt, wie Kinder zum selbstst?ndigen Denken angeregt werden und es n?tig ist, mit ihnen zu diskutieren. Denn nur ein wacher Geist kann ideologischen Verf?hrungen widerstehen.

Dem autobiographisch gepr?gten Band "Moslem oder M?sl?man?" von Sevinc Neumann gelingt eine sehr gute Gratwanderung zwischen Tragik und Komik, Lesefreude und Anregung. Dabei wird das Thema nie veralten: Es geht um das Aufwachsen zwischen zwei Sprachen und Religionen. Das sch?rft vor allem die Sensibilit?t des deutschen Lesers und zeigt sehr gut auf, wie Migrantenkinder aufwachsen und welche Schwierigkeiten sie haben k?nnen.

Jons Marek Schiemann
10.04.2012

 
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Das Buch:

Sevinc Neumann: Moslem oder Müslüman?

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Bad Harzburg: Silvercon Verlag 2012
240 S., € 14,95
ISBN: 978-3-9814436-2-2

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