Medien & Gesellschaft

Warum so viele Webseiten keinen Spaß machen: Ein nutzer-orientierter Ansatz über gutes Webdesign

Man findet sie überall und häufig im weltweiten Netz. Und es sind nicht nur die zahlreichen privaten Homepages, die von Laien gestaltet sind. Nein, es sind allzu oft die Webseiten von ebenso bekannten wie gewichtigen Firmen und Institutionen, die mit ihren Internetauftritten, ganz offensichtlich mit gewaltigem und teurem Fachwissen erstellt, den Besucher frustrieren und letztlich davon abhalten die dargebotenen Inhalte aufzunehmen. Womit zugleich das Ziel des Anbieters der Webseite, seine (oft werblichen) Botschaften an die Frau oder an den Mann zu bringen, nicht erreicht wird.

Woran mag das liegen? Es ist oft nicht der Mangel an Ästhetik, der den Besucher abschreckt. Denn gerade auf das "Look and Feel" in der Webseitengestaltung, wie es der Autor Thomas Wirth von "Missing Links" nennt, konzentrieren sich die Bemühungen und das Fachwissen der Webdesign-Fachwelt. Vielmehr ist es der willige Onlineshop-Besucher, der entnervt irgendwann kurz vor Abschicken des prall gefüllten Warenkorbs den Shop verläßt (ein Klick genügt), weil er nach einer halben Stunde nicht mehr glaubt sein Ziel erreichen zu können, türmen sich doch immer neue Hindernisse auf. Oder der ehrliche Steuerzahler, angelockt von dem Versprechen, seine Steuerformulare nun online ausfüllen oder abrufen zu können, der auf dem Webauftritt seiner Stadt eben diese Formulare einfach nicht finden kann. Allgemein formuliert: Es ist die weit verbreitete Enttäuschung der Internetbenutzer, die entsteht, wenn sie die versprochenen Ziele nicht erreichen können oder erst gar nicht verstehen, wie sie dorthin gelangen, die anzeigt, daß schlechte Webseiten durch Mängel in der Kommunikation ausgezeichnet sind.

Alles ist Kommunikation – auch im Internet

Mit "Alles ist Kommunikation" überschreibt Autor Thomas Wirth das erste Kapitel von Missing Links, womit der rote Faden des Buches vorgegeben ist. Wie bei vielen anderen Büchern über Webdesign, geht es auch hier um die Frage, was eine gute Webseite ist. Die Antwort wird hier beim Benutzer gesucht: "Wenn Menschen auf eine bestimmte Weise wahrnehmen, denken, entscheiden und handeln, muß eine Webseite bestimmte Eigenschaften aufweisen". Mit dieser Perspektive hebt sich das Buch aus der Masse der Publikationen heraus.

Dem Abschnitt über Kommunikation folgen die über "Aufmerksamkeit" und "Motivation und Handeln". Den Leser erwartet ein breites Angebot an Informationen der Grundlagenforschung und Erkenntnissen aus Nutzerstudien, mit deren Hilfe Kriterien für die Gestaltung von guten Webseiten gewonnen werden sollen: Die MAYA-Regel, duale Kodierungstheorie, der Unterschied von Konnotation und Denotation oder eine Entscheidungstheorie führen durch die relevanten Punkte. Wenn der Leser hier zusammenzuckt und denkt, davon verstehe ich nichts, dem sei an dieser Stelle ausdrücklich Entwarnung gegeben. Thomas Wirth ist zwar Professor für Digitale Medien an der Berufsakademie Mosbach und entwickelt seine Ideen auf wissenschaftlichen Grundlagen, er führt aber in diesem Buch so einfach und knapp in Theorie ein, daß sie gut verständlich und unmittelbar auf ein konkretes Problem anwendbar ist. Ein reichhaltige und plakative Bebilderung der zahlreichen Beispiele verstärkt die Anschaulichkeit und zudem ist der Text mit so viel Humor geschrieben, daß es eine Freude ist, sich mit dem ernsten und schwierigen Thema der Webseitengestaltung eingehend zu beschäftigen.

Über die Motivation von Handlungen

Ausgangspunkt der Gedankengänge ist im Buch Missing Links immer der Nutzer. Stellen wir uns die Ergebnisliste einer Suchmaschine vor: 30 Treffer werden angezeigt. Welchem soll man folgen? Wir haben es hier mit einer "Auswahlentscheidung" zu tun. "Sequentielle Entscheidungen" hingegen treffen wir immer dann, wenn im Verlauf von Handlungen mehrere Möglichkeiten zum Fortschreiten angeboten werden. Die beiden wichtigsten Faktoren, die beide Varianten von Entscheidungen beeinflussen sind zum einen, die Attraktivität des Ziels und zum anderen die Distanz zum Ziel. Beide Faktoren spielen eine Rolle in der Abschätzung der Kosten- und Nutzenrechnung. Erscheint das Ziel sehr attraktiv, so ist man bereit eine höhere Distanz zum Erreichen des Ziels in Kauf zu nehmen und umgekehrt.

Mit drei weiteren Gesichtspunkten wird das Modell zur Erklärung von Entscheidungen vervollständigt:

1) In dem Moment, in dem wir etwas tun müssen, um unserem vermeintlichen Ziel näher zu kommen, schätzen wir die Attraktivität des Ziels. Diese hängt immer auch von den Kosten ab. Wenn wir zum Beispiel den Newsletter einer Firma abonnieren möchten, zum Registrieren aber einen dreiseitigen Fragebogen ausfüllen müssen, überlegen wir uns, ob sich der zeitliche Aufwand lohnt.

2) Beim Austausch von Informationen und Waren wird immer der Nutzen aller Beteiligten berechnet. Wenn wir im obigen Beispiel detaillierte Informationen über uns preisgeben müssen, um einen Newsletter zu erhalten, dessen Qualität man nicht einschätzen kann, könnte man zu dem Schluß kommen, daß die Firma lediglich an Nutzerdaten interessiert ist und wird den Registrierungsvorgang abbrechen.

3) Die Berechnung von Kosten und Nutzen erfolgt nicht alleine unter zu Hilfenahme von Fakten. Gewohnheiten spielen eine gewichtige Rolle. Wir werden uns aus Bequemlichkeit nur allzu oft für das Bekannte entscheiden, auch wenn es objektiv nicht die Entscheidung mit dem größten Nutzen für uns ist. Für den Fall des zeitlich aufwendigen Registriervorgangs wird das Erscheinen des Formulars bei den meisten Nutzern den Reflex zum Wegklicken auslösen, ist ein umfangreiches Ausfüllprozedere doch eine der ungeliebten Tätigkeiten im Internet.

Ein Detail-Beispiel

Bleiben wir bei dem Beispiel des "ungewöhnlichen" Registrierungsvorgangs, so wird deutlich daß der Anbieter Anstrengungen unternehmen muß, damit der Nutzer das Formular ausfüllt. Mit den Gesichtspunkten der Entscheidungstheorie wird deutlich wie diese aussehen können:

Einer detaillierten Beschreibung des Newsletters ("Wir bieten Ihnen Informationen XYZ...") folgt die Bitte der vollständigen Adresseingabe (Wir möchten dafür Ihre Adresse"). Hier werden Kosten/Nutzen aller Beteiligten offengelegt. Öffnet sich nun der Fragebogen z.B. zum Kaufverhalten, bedarf es einiger Anstrengung, damit man den Nutzer bei der Stange hält: Dies könnte ein gut sichtbarer Einleitungssatz sein: "Sie bekommen von uns einen personalisierten Newsletter. Wir benötigen dafür Angaben über Ihre Interessen. Nach dieser Seite haben Sie es geschafft und erhalten Ihren persönlichen Newsletter." Der Erhöhung der Anstrengung (das Ausfüllen des Fragebogens) wird die Erhöhung der Attraktivität des Ziels (ein für Sie optimierter und somit wirklich nutzbringender Newsletter) gegenüber gestellt und als lohnenswertes Handlungsziel deutlicher. Außerdem wird die Distanz zum Ziel transparent gemacht (nur noch dieses Formular, dann erhalten Sie den Newsletter), was die Motivation steigen läßt noch einmal die Anstrengung des Ausfüllens auf sich zu nehmen.

Gutes Webdesign ist vor allem die Gestaltung von Prozessen

Was dieses – frei assoziierte – Beispiel verdeutlichen soll, ist, daß der Webseitengestalter auf plastische und interessante Weise vorgeführt bekommt, an welch scheinbar nebensächlichen Punkten über den Erfolg und Mißerfolg seiner so aufwendig gestalteten Seiten entschieden werden kann. Für die Gestaltung von Webseiten können wir mit dieser Entscheidungstheorie lernen: "Webdesign ist nicht die Gestaltung und anschließende Aneinanderreihung von Seiten, sondern Design von Prozessen." Thomas Wirth beschäftigt sich aber auch mit der stimmigen Gestaltung, dem "Look and Feel" von Webseiten, also dem im engen Sinn guten Webdesign. Denn dieses hat eine ebenso bedeutende Rolle in der Optimierung von Prozessen.

Zusammen gefaßt kann man sagen, daß der Webdesigner nach der Lektüre von "Missing Links" für die nächste Bewältigung eines Auftrags sich wohl weniger oft den quälenden Fragen nach schlechten pageimpressions ausgesetzt sieht – also den Fragen, warum nachher seiner ach so schönen Gestaltung die Besucherzahlen nicht den Erwartungen des Webseitenbetreibers entsprechen. Und darauf kommt es schließlich an: Wie gut wird eine Webseite von den Usern angenommen. Errungene Design-Awards sind bei sinkenden Besucherzahlen nämlich kein gutes Argument gegenüber dem Auftraggeber.

Der andere Blick macht das Buch zum Standardwerk

Was vermißt man bei der Lektüre dieses so anderen Buches über gutes Webdesign? Es ist einmal eine Bibliographie, die die nicht unerhebliche Anzahl von Literaturverweisen, systematisch zugänglich macht. Zudem wünschte man sich ein Glossar der webdesign-spezifischen Fachbegriffe. Während die Theorien grundlegend und sehr einfach erklärt werden, wird der Fachjargon vorausgesetzt. Beide Mängel sind aber der offensichtlichen Zielgruppenorientierung geschuldet. Das Buch wendet sich vor allem an den Webdesigner. Dieser beherrscht natürlich den Fachjargon und hat wohl auch weniger Interesse an weiterführende theoretischer Literatur.

Thomas Wirth ist es mit seinem Buch Missing Links gelungen, seine theoretisch fundierten Ansichten über gutes Webdesign in einer angenehm verständlichen und kurzweiligen wie auch humorvollen Weise für ein Publikum zu präsentieren, das gegenüber Theorie nicht unbedingt als aufgeschlossen gilt, dem die Auseinandersetzung mit dem Wissen aus Grundlagenforschung aber großen Gewinn verspricht. Vor allem aber ist es der andere Blick auf die Anfordernisse an gutes Webdesign, der dieses Buch so wertvoll macht. Als Internetnutzer kann man nur hoffen, daß jeder, der etwas im Internet publiziert, dieses Standardwerk gelesen hat.

Sascha Müller
11.11.2005

 
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Das Buch:

Thomas Wirth: Missing Links. Über gutes Webdesign

CMS_IMGTITLE[1]

München, Wien: Carl Hanser Verlag 2004
360 S., € 49,90
ISBN: 3-4462-2554-4

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