Medien & Gesellschaft
Im Tiefenrausch
Die Geschichte dieses Buches ist an sich schnell erzählt. Einige Taucher finden vor der Küste von New Jersey ein Wrack, von dem sich schon schnell herausstellt, dass es sich um ein deutsches U-Boot handelt. Nach längerer Recherche gelingt ihnen die Identifizierung.
Mit dieser knappen Story lassen sich nicht nur 431 Seiten füllen, sondern es ist ein ausgesprochen spannendes und lesenswertes Buch entstanden. Dazu gehört natürlich, dass es in Wahrheit doch nicht diese einfache Geschichte ist, sondern dass einige Rahmenbedingungen so gelagert sind, dass hier ein Abenteuer beschrieben wird, bei dem immerhin drei Taucher den Tod gefunden und wohl auch mehrere Ehen zerbrochen sind.
Im Mittelpunkt des Buches stehen die beiden Taucher John Chatterton und Richie Kohler, ein deutschstämmiger Amerikaner, was für die Geschichte nicht ohne Bedeutung ist. Beides sind keine gewöhnlichen Taucher, sondern extreme Tieftaucher. Im Jahre 1991, in dem die – übrigens von vorne bis hinten wahre und exzellent recherchierte – Geschichte beginnt, galten Tauchgänge über 60 m Tiefe als lebensgefährlich, fast unmöglich. Das lag einfach daran, dass damals ausschließlich mit Pressluft getaucht wurde, sich deswegen in dieser Tiefe durch den sich im Blut lösenden Stickstoff ein Tiefenrausch mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen einstellt und der Wiederaufstieg nur nach sehr langen Dekompressionszeiten ermöglichte; ein Schnellaufstieg, also ein Auftauchen ohne Dekompression, führt zum Aufschäumen und Verklumpen des Bluts, ein Umstand, der später zwei Tauchern, die sich als Folge des Tiefenrauschs nicht mehr orientieren konnten, zum Verhängnis werden sollte.
Die Entdeckung des U-Boots ist ein Zufall. Chatterton gelingt es, zwei Teller aus dem U-Boot mit an die Oberfläche zu bringen. Der Zutritt gelingt durch ein sehr großes seitliches Loch, eine Explosionsstelle, die zum Sinken des Boots führte. Diese Teller belegen zweifelsfrei, dass es sich um ein deutsches U-Boot handelte – aber um welches? Kein U-Boot war im Umkreis von 100 km um diese Stelle verloren oder versenkt gemeldet worden. Kohler, der später dazu stößt und sich vom Wracktaucher, der nur auf Trophäen aus ist, zu einem Taucher entwickelt, der sich um die Identifizierung des U-Boots und vor allem der Toten an Bord fast fanatisch kümmert, und Chatterton recherchieren in den USA, England und natürlich Deutschland in Archiven und Privatleuten. Auch ein Messer mit dem eingeritzten Namen "Horenburg" scheint sie nicht weiter zu bringen, denn U 869, auf der Horenburg Dienst tat, war, so besagten alle Quellen, dass dieses U-Boot vor Gibraltar gesunken war.
Erst durch die sechs Jahre lange Recherche und durch zahlreiche Tauchgänge, die durch das neuen Tauchgas unter Beimischung von Helium etwas weniger gefährlich wurden, gelang es schließlich, zweifelsfrei nachzuweisen, dass es sich um U-869 handelte, die offensichtlich durch einen nicht erhaltenen Befehl zur Umkehr nach Gibraltar einem ursprünglichen Befehl zur Jagd vor New Jersey folgte und dort von einem eigenen Torpedo, einem so genannten Kreisläufer, der durch einen Antriebsfehler wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrte, getroffen wurde und sich selbst versenkte.
Nicht nur diese Geschichte wird aber detailliert und unglaublich spannend beschrieben. Der Autor sowie Chatterton und Kohler lassen auch die immer mehr aufkeimende Achtung der Taucher vor diesem Kriegsgrab erkennen; unter keinen Umständen wollten die Taucher Knochen oder persönliche Gegenstände der im U-Boot getöteten bergen. Sie reisten dann nach Deutschland und sprachen mit Zeitzeugen, dem Bruder des Kommandanten, der ehemaligen Verlobten eines Offiziers, dem Funkmeister, der wegen Krankheit nicht mit auslaufen konnte. So ergibt sich ein recht genaues Bild der Zeit vom Stapellauf des U-Boots bis zum Auslaufen, besonders der letzten 14 Tage vor dem Fahrtbeginn in den damals fast sicheren Tod, der sie dann ja auch ereilte. Obwohl natürlich fiktional, ist dieser Part des Buches trotzdem ausgezeichnet belegt und eigentlich auch ein Dokumentarbericht.
Dieses Buch ist für viele von Interesse. Ob Tauchfans, U-Boot-Historiker, allgemeine Historiker oder einfach an einem spannenden Buch Interessierte, alle finden eine Lektüre, die sie nicht loslassen wird, bis die letzte Zeile gelesen ist.
hah
12.11.2004