Medien & Gesellschaft

Das Leben als Erkenntnisweg

?Urselbst, von dem alles ausgegangen, Urselbst, zu dem alles zur?ckkehrt, Urselbst , das in mir lebt  - zu dir strebe ich hin? ? diese Worte Rudolf Steiners begleiten den Leser wie ein Atempuls durch das vorliegende Buch. Es ist ein zweigeteiltes Werk. Im ersten Teil geht es um ?Anthroposophie und Christentum? mit dem Untertitel ?Auferstehen in Anschauung des erkenntnisgenetischen Grundgesetzes. In der Auseinandersetzung zwischen Stoff und Geist betrachtet der Autor  wie die Biotechnologie als die Frostorgan- Gen&Klon -Technologie -AG zwangsl?ufig zum Widersacher des Menschen wird, wenn sie den Geist des individuell erkennenden Menschen nicht achtet und leugnet. Der zweite Teil ist ?bertitelt mit: ?Experiment als gewollter Urbeginn; Die Suche nach dem Ur.? Hier versucht der Verfasser, die urspr?ngliche Entstehung  des Selbstbewu?tseins aus dem Urbeginn des Erkennens experimentell zu beobachten. Ist Christus Mensch geworden, mu? Christus im Selbstbewu?tsein des Menschen geschaut werden k?nnen. So ist der Erkenntnisweg zum Urbeginn des Selbstbewu?tseins gleichbedeutend ein Weg zum Erkennen des Mensch gewordenen Christus.

Im ersten Teil werden viele grundlegende Fragen gekl?rt: Was ist Anthroposophie, wie tritt sie auf, wie vermittelt sie Erkenntnisse. Hier zeigt der Autor, wie die erkenntnisgenetische Entwicklung des Menschen der biogenetischen Entwicklung ?bergeordnet ist. Denn das Denken und Erkennen - so Pohl  - werden nicht durch die Leibesorganisation des Menschen, hervorgebracht, sondern gegen diese. Kann die notwendige Zur?ckdr?ngung des Leibes beim konzentriert aufmerksamen Denkakt beobachtet werden, so kann dieses das Denken  durchschauende Erleben als  die Auferstehung des Geistes aus seiner todgeweihten Leibesorganisation erlebt werden, da an die durch Zur?ckdr?ngung frei gemachte  Stelle sich beobachtbar das lebendige Leib aufbauende Denken setzt. So der Verfasser: ?Bewu?tsein entsteht immer nur durch die Zur?ckdr?ngung der biologischen, stammesgeschichtlich geerbten Leibesorganisation. Ohne Zur?ckdr?ngung und Tod ist keine Geistesentwicklung m?glich.? (S.57) Selbstbewu?tsein entsteht dagegen indem das Leib aufbauende Denken beobachtet wird.

Dem Verfasser geht es also um die geistige Frage: wie kommt die Materie dazu, sich geistig als Fragende zu ?u?ern und nimmt sich nicht einfach hin? Deshalb setzt sich der Autor mit den Gehirnforschungen John C. Eccles und dessen Suche nach einer Biologie der Freiheit auseinander. Ausgangspunkt des Buches ist der Urbeginn alles Erkennens, n?mlich die Frage nach der geistig erlebten Fragef?higkeit des Menschen. Der Verfasser stellt der bio-genetischen Entwicklung die erkenntnisgenetische Entwicklung des geistig fragenden und geistig antwortenden Menschen entgegen und sucht seelisch beobachtend deren Zusammenhang und verbindendes Br?ckenglied: ?Gibt es ein Geistiges in der Welt, so wie ich ein geistiges Verstehenwollen als individuelles Talent in mir finde?? (S.41)  Das ist das Denken.

Der Mensch ist folglich nicht durch Hinnehmen und Empfangen, sondern durch T?tigkeit im Denkakt mit dem Geist verbunden.

In weiterer Auseinandersetzung mit scheinbar gesicherten Paradigmen g?ngiger Naturwissenschaft untersucht der Autor im Bereich der Gen- und Klontechnik sowie im Bereich des Einfrierens von Menschen mit dem Ziel, erkrankte Menschen vielleicht in sp?terer Zeit mit neueren Erkenntnissen behandeln und heilen zu k?nnen. ?Welchen Sinn haben denn das Opfer Christi und das Geschehen auf Golgatha, wenn das Bed?rfnis nach Unsterblichkeit durch Neuk?rperz?chtung oder durch st?ndig erneuerte Organe scheinbar gel?st werden kann??  Der Tod, die Auferstehung Christi und das erkenntnisgenetische Grundgesetz in Bezug zur Biogenese des Menschen m?ssen begriffen und durchschaut werden k?nnen, will der Mensch menschengem?? handeln k?nnen. (S. 77) Er mu? sein Menschsein in Bezug zum Menschsein Christi in Jesus und zur Auferstehung Christi begreifen lernen. Ob und wann Gen- und Klontechnik menschengem?? sind im Sinne des freien Menschen, dieses sucht der Autor aus der Erkenntnisgenese des Menschen zu beantworten, die er der Biogenese ?bergeordnet darstellt.

Die gemeldeten Geburten angeblich geklonter Babies durch die Realianer wenige Jahre nach dem Schaf Dolly werfen Fragen auf, die an unser tiefstes Menschsein reichen, was darf materialistische Wissenschaft? Wann ist deren Handeln dem freien Menschen gem??? Wann ist ihr Handeln gegen den freien Menschen und seiner Entwicklung gerichtet? Was ist der Mensch als Mensch bio- und erkenntnis-genetisch? Wie wirken Bio- und Erkenntnisgenese zusammen. Was bedeutet es f?r den Menschen erkenntnisgenetisch und ?berhaupt, wenn Wissenschaftler ihre technischen Fertigkeiten anwenden, um im  Genmaterial und mit ihm zu experimentieren?

Da Leben biogenetisch durch Vererbung in einem ununterbrochenen Zusammenhang der Stammesgeschichte steht,  stellt sich f?r den Autor nicht die Frage, wann beginnt das menschliche Leben, wie man in vielen Diskussionen es sonst h?rt. Das Leben ist seit Urbeginn Leben. Es ist das Zusammenhanggebende der Generationen. Deshalb kann und darf berechtigt das biogenetische Grundgesetz ausgesprochen werden, wie es Haeckel angeregt durch Darwin tat. ?Leben ist immer dynamisch wechselnde Ordnung in einem sich selbst st?tzenden Zusammenhang. Es geh?rt zu den gesichertsten experimentellen Ergebnissen, da? Urzeugung aus vorausgesetzten Molek?len nicht m?glich ist. Das hei?t: da? Leben sich nicht zusammensetzen l??t, sondern, da? es ?ber die Bedingung der Vererbung weiter gegeben werden mu?. Leben ist eine urbeginnliche ununterbrochene Einheit. W?re die DNS zur lebendigen Urzeugung f?hig, br?uchte ja die Debatte und die Gier um die verbrauchende Embryonenforschung zur Gewinnung von Stammzellen erst gar nicht begonnen werden. Leben ist also nicht additiv durch irgendeine Verkomplizierung von Molek?len herstellbar. Es wird vielmehr ununterbrochen in sich selbst zusammenh?ngend durch Vererbung ?ber die Eltern weitergegeben.?  Wie aber wird der Mensch ein individuelles Wesen?

Nun behaupten die Naturwissenschaftler wie Prof. Jens Reich, Mitglied im Nationalen Ethikrat von Bundeskanzler Schr?der, da? es ohne DNS keine Vererbung geben w?rde. Dem widerspricht der Autor und zeigt auf, da? die DNS lediglich ein totes Ausscheidungsprodukt des Lebens sei, da? diese allerdings in Weselwirkung mit dem Leben stehe. Etwa wie die tote Rinde und die Jahresringe der B?ume als Ausscheidungsprodukte des Lebens in Wechselwirkung mit dem Leben stehen, so wechselwirkt tote DNS mit Leben und wirkt reagierend aber nicht lebendig agierend auf die Gestaltbildung ein.

Mit dem Buch behandelt Pohl Fragen dieser Art und weitere naturwissenschaftliche Paradigmen ?u?erst intensiv anhand der auf Rudolf Steiner fu?enden anthroposophischen Erkenntnismethode der seelischen Beobachtung. Wer sich mit dem Buch zu einem eigenen Erkennen ?ber die von Pohl aufgeworfenen Fragen durchringt, braucht vor allen Dingen eines: er mu? das alte Denken hinter sich lassen und sich auf ein gro?es Abenteuer einlassen: Geistiges so zu denken, da? man seine Realit?t sp?ren  und wissen kann. Denn es gilt, das Erkennen und das Denken am Aufbau und Mitweben der Wirklichkeit und des Lebens zu beobachten.

Das Buch ist keine Lekt?re f?r den gem?tlichen Nachmittag, es wirft gewaltige Fragen auf und der Autor arbeitet sich intensiv hin zu der Frage nach dem Mensch gewordenen Christus in uns. Um bei den Fragen der modernen Naturwissenschaft zu einer eigenen Ansicht zu gelangen, ist es notwendig, da? man selbst anf?ngt zu denken, wozu der Verfasser st?ndig neu einl?dt. Das ist heutzutage nicht mehr so ?blich, wird sich aber nicht umgehen lassen, wenn man sein eigenes Menschsein in Bezug zur Biogenese und dem Christus begreifen will: ? Der Mensch mu? von Christus durch geistig seelische Beobachtung erfahren, da? dieser ihm seine Auferstehung von Denken, F?hlen und Wollen  sowie seine erkenntnisgenetische Freiheit erm?glichte und keine Macht der Erde und des Kosmos seine geistige Entwicklung  und Verwandlung des physischen Leibes zum Geistesmenschen verhindern kann, wenn er es wahrhaft will.?  ?Dem Menschen wird es durch Christus also m?glich individuell Selbstgestalter, Selbsterzieher zu werden. Nicht mehr nur von der Stammesgeschichte der Menschheit her stammt nun der Mensch ab, sondern er stammt von sich selbst, als individueller Geist. Die Erkenntnis- bzw. Selbsterziehungsertr?ge des Lebens zwischen Konzeption, Geburt (Inkarnation) und Tod (Exkarnation) gehen auf den individuellen Menschen ?ber. Er nimmt sie als sein eigenes her?ber in das geistige Leben zwischen Tod und neuer Inkarnation.?

Denn Christus hat den physischen Wahrnehmungsleib dem Tode entrissen und so in Jesus unabh?ngig von der Ahnenreihe individualisiert. Christus verbindet den Urbeginn des Menschen mit dem Urbeginn des sich seit dem Mysterium von Golgatha aus Erkenntnis selbst erziehenden Menschen, der als individueller Mensch sein eigenes Gesetz (eigener Begriff) wird und von sich selbst abstammt.?

Pohl forscht sehr intensiv, man mu? vieles sehr lange bedenken, selbst nachvollziehen, im Geist entstehen lassen. Er ist radikal in seinen Ansichten ?radikal menschlich und dem Schutz des Lebens verpflichtet. In der Deutlichkeit seiner Aussagen ist er selbst leicht angreifbar und schnell in Schubladen gesteckt.  Doch steht er modernen Methoden aber keinesfalls nur kritisch gegen?ber, dieses tut er radikal nur dort, wo er die Freiheit des individuellen Menschen gef?hrdet sieht. Im Gegenteil, Pohl begr??t die Gentechnik  als Ausdruck des erkennenden Geistes und sieht die Gentechnik,  insofern sie selbstlos unter Beachtung der Freiheit des Geistes angewendet wird, als potential heilvolles Streben des erkennenden Geistes, der die Entwicklung seines Menschseins aus der Erkenntnisgenese gestaltet. Pohl wehrt die moderne Biotechnologie nur dann ab, wenn sie die Freiheit des sich inkarnierenden Geistes nicht achtet und gegen ihn Handlungen aus?bt. Durch die Formulierung und Beobachtung der Erkenntnisgenese des Menschen sowie durch Darstellen des physiologisch-morphologischen Grundgesetzes, das der Autor mit dem Anatom Erich Blechschmidt formuliert, weist er die Individualit?t als geistig vorgeburtlich existent nach.

Das Thema Gentechnik, Klonen und Einfrieren, wird uns zunehmend besch?ftigen. Um sich den neuen Menschheitsfragen aus eigenem Erkennen zu stellen und sie f?r sich selbst freiheitsf?rdernd zu beantworten, tut Information not, die in voller Tiefe zum Durchschauen der Problematik aufruft, da es sich hier unwiderruflich um Sein oder Nichtsein handeln kann, dem man sein Geistiges geopfert hat.

Das vorliegende Buch nimmt eine sehr deutliche und extreme Stellung ein. Vielleicht braucht es diese Extreme, damit sich Wahrheit und menschengem??es, individuelles freies Handeln aus eigenem Erkennen finden l??t. Dem Thema w?re eine Ausarbeitung angemessen, die leichter verst?ndlich ist. Das Werk sehr tiefgr?ndig und sehr schwer zu lesen, es fordert ?u?erste denkerische Anstrengung und Konzentration. Ein beachtenswerter Ansatz mit viel Mut. F?r den Interessierten ohne anthroposophische Erkenntnis nur in dauernder philosophischer Meditation, f?r Anthroposophen eine echte Herausforderung und Ann?herung an das Thema. Als Meditationsbuch im stetigen, tieferen Umgang f?r das Leben als Erkenntnisweg vom Autor geschrieben. F?r Theologen, Naturwissenschaftler, Molekularmediziner, -biologen Reproduktionsmediziner, Philosophen, Erkenntnistheoretiker, Ethiker, Ethikkommissionen, Anthropologen gleichsam eine Herausforderung, die nach Echo ruft.

cvb
01.03.2003

 
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Das Buch:

Andreas Horst Pohl: Anthroposophie und Christentum

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Groß-Umstadt: Apohl Verlag
323 S.
ISBN: 3-933338-30-1

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