Medien & Gesellschaft

Der Islam als Kulturträger in Europa

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington und die darauf folgenden militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan und im Irak haben den Islam und dessen Konfliktpotential vermehrt ins Blickfeld der Öffentlichkeit gebracht, mit zumeist negativer Konnotation. Schlagworte wie "Fundamentalismus", "Islamismus" oder "Dschihad" und die häufige Tendenz, diese mit dem Islam gleichzusetzen prägen auch 10 Jahre nach den Anschlägen das Bild der Berichterstattung in den Medien. Doch was wissen wir wirklich über den Islam als Religion und über die arabische Kultur im Allgemeinen? 

Einer der sich mit dem Islam eingehend beschäftigt hat, war der Islamkundler William Montgomery Watt (1909-2006). Er war einer der bedeutendsten Islamwissenschaftler unserer Zeit und einige seiner über dreißig Bücher sind zu Standardwerken der Islamwissenschaft geworden. Eines seiner Werke, welches den Titel "Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter" trägt, besteht aus einer Sammlung an Skripten, welche Watt 1970 in seinen Vorlesungen am Collège de France in Paris vorgetragen hat. Und auch nach 30 Jahren haben diese Texte nichts an ihrer Aktualität, ihrer Richtigkeit und ihrer Brisanz verloren.

Im ersten Teil des Buches spricht Watt über die arabische Eroberung Spaniens und Siziliens im Mittelalter. Die Ausbreitung der arabisch-islamischen Kultur durch deren Handel mit Westeuropa sowie durch die allgemeine Bewunderung und Nachahmung der arabischen Lebensweise, welche als "angenehmes und feines Leben" angesehen wurde, wird von Watt ebenfalls ausführlich behandelt. Danach geht er auch auf die naturwissenschaftlichen und philosophischen Leistungen der islamischen Welt ein und zeigt auf, dass sich die europäische Naturwissenschaft und Philosophie ohne die Araber und deren Vermittlung von Wissen nicht so schnell hätte entwickeln können, wie sie es letztendlich getan hat. Als Kulturträger lieferten sie einen großen Beitrag zur Entwicklung der europäischen Kultur!

Zudem skizziert Watt die Beweggründe und Ideen der militärischen Aktionen Westeuropas gegen die Araber, welche geprägt waren durch die in Spanien stattfindende Reconquista und die einsetzenden Kreuzzüge nach Jerusalem. Dabei geht er insbesondere auf die religiöse Dimension der Kreuzzugsbewegung und auf die Entstehung und Verbreitung eines verzerrten Islambildes in Europa ein. Er macht verständlich, inwieweit Minderwertigkeitsgefühle gegenüber der islamischen Zivilisation eine Rolle bei der Entstehung des entstellten Bildes vom Islam spielten, welches eigentlich weniger den Islam selbst beschrieb, sondern vielmehr als eine Projektion der Schattenseiten des christlichen Europas zu verstehen ist. 

"Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter" war weitaus größer als allgemein bekannt ist. Materielle Erzeugnisse, technische Entdeckungen, geistige Anregungen auf dem Gebiet der Philosophie und Naturwissenschaft und nicht zuletzt der europäische Entwurf eines Fremdbildes und in dessen Abgrenzung auch die Entstehung einer europäischen Identität, hat das europäische Mittelalter dem Islam zu verdanken. W. Montgomery Watt stellt diese einzelnen Aspekte prägnant und treffend vor und macht so für jedermann verständlich, wie bedeutend die Konfrontation mit dem Islam für die Entwicklung Europas war. Diese herausragende Leistung des Islamwissenschaftlers ist gerade auch im Hinblick auf die allgemein herrschende Islamphobie nicht hoch genug einzuschätzen.

Kathrin Grimm
04.07.2011

 
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Das Buch:

W. Montgomery Watt: Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter. Aus dem Englischen von Holger Fließbach. Mit einem Vorwort von Ulrich Haarmann

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Berlin: Wagenbach Verlag 2010
128 S., € 9,90
ISBN: 978-3-8031-2420-3

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