Medien & Gesellschaft

19 Frauen zwischen zwei Kulturen

Sie gehören im Grunde genommen einer Generation zwischen Extremen an. Sie leben oftmals zwischen traditionellen ländlichen Verhältnissen in ihrer Heimat und modernem deutschen Großstadtleben. Oder sie fühlen sich hin- und hergerissen zwischen den religiösen Vorstellungen ihrer Eltern und ihrer eigenen Art, die glaubensbezogenen Einflüsse zweier Kulturen zu kombinieren. Die türkisch-deutsche Schriftstellerin, Publizistin und Journalistin Hilal Sezgin interviewt 19 junge in Deutschland lebende Türkinnen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, und lässt sie ihre eigene Geschichte erzählen. Was heißt es, eine typische Türkin zu sein? Und ist es heutzutage überhaupt noch erstrebenswert, "Typisch Türkin" zu sein?

Den Spagat zwischen zwei Kulturen haben alle der 19 jungen Frauen auf ihre eigene Art und Weise vollbracht. Da wäre zum Beispiel die 25-jährige Gülbahar, gelernte Werbeassistentin, die am liebsten professionelle Tänzerin wäre und die Bezeichnung "typische Türkin" direkt als Beleidigung auffasst. Oder Nimet, die in den USA studiert hat und nicht nur von den Vorurteilen gegen Türkinnen, sondern auch von der "Dünnendiktatur" hierzulande frustriert ist. Die junge Anwältin Zahide, die mit 16 Jahren nach Deutschland kam, gesteht dagegen, nicht immer stark und selbstbewusst gewesen zu sein. Sie gibt offen zu, dass sie nicht nur unter der Abwesenheit ihrer Eltern, sondern an der ihrer Meinung nach fehlenden Wärme im Umgang der Deutschen miteinander gelitten hat. Einige von ihnen, wie die angehende Ärztin Rüya, haben auch vor, in absehbarer Zukunft Deutschland wieder zu verlassen. Doch ob sie es tatsächlich tun werden, steht noch in den Sternen.

Wem all diese Bekenntnisse noch nicht persönlich genug sind - keine Sorge: Die Grenzen der thematischen Bandbreite von "Typisch Türkin" sind hiermit noch längst nicht ausgeschöpft. Wie stellen sich moderne türkische Frauen ihren Traummann vor und wie sieht für sie die perfekte Beziehung oder die perfekte Ehe aus? Was halten sie vom wunderbar bequemen "Hotel Mama"? Wie sieht es mit den Vorurteilen, die beide Kulturen gegeneinander hegen, aus? Und auch das leidige Thema "Kopftuch" wird selbstverständlich angesprochen, und zwar mit oftmals durchaus überraschenden Resultaten.

Wer "Typisch Türkin?" unter Erwartung eines Plädoyers für bessere Völkerverständigung zwischen Deutschland und der Türkei in die Hand nimmt, liegt durchaus richtig. Was die meisten Leser dennoch überraschen wird, ist die ungezwungene Art, mit der Hilal Sezgin ein gleichermaßen komplexes wie schwieriges Thema in ein durch und durch unterhaltsames Sachbuch verwandelt. Sezgins Interviewpartnerinnen erweisen sich allesamt als dermaßen entwaffnend ehrlich, dass man sie schlicht durch und durch sympathisch finden muss. "Typisch Türkin?" erweist sich so als ebenso unterhaltsam wie informativ, sprich, wie ein gutes Sachbuch sein sollte. Ein absolut lesenswertes Portrait einer Generation, die noch von sich reden machen wird und ein Muss für jeden Leser, der mehr über moderne türkisch-deutsche Kultur erfahren möchte.

Johannes Schaack
03.01.2011

 
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Das Buch:

Hilal Sezgin: Typisch Türkin? Porträt einer neuen Generation

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Freiburg: Herder Verlag 2010
192 S., € 8,95
ISBN: 978-3-451-06092-2

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