Medien & Gesellschaft

Ke Nako. Celebrate Africas Humanity

Unter diesem Motto wird am 11. Juni dieses Jahres in Südafrika die XIX. Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen, die erste überhaupt auf dem afrikanischen Kontinent. Dabei wird im Vorfeld bereits heftig diskutiert über Sicherheitsmängel, leere Stadien und mangelnde Stimmung ob der Temperaturen im südafrikanischen Winter. Wer sich bis dato lediglich aus dem fernen Europa heraus uninspiriert im Fernsehsessel hockend an derartigen Prognosen beteiligt hat, dem sei ein Blick in das vorliegende Buch Thilo Thielkes empfohlen, das als ein emotionales Potpourri über Fußball in Afrika daherkommt.

Thilo Thielke war fast ein Jahrzehnt lang als Spiegel-Korrespondent in Nairobi tätig und outet sich als ein Kenner der afrikanischen Fußballszene. Man stellt schnell fest, dass Thielke für "Traumfußball" den schwarzen Kontinent weitläufig bereist hat. Er vermittelt gekonnt die Leidenschaft der Afrikaner für den Fußball. Während in Europa die Begeisterung für ein Team, die Nationalmannschaft oder das runde Leder an sich meist schon den Charakter eines Wohlstandshobbys hat, ist Fußball für eine Vielzahl der Menschen in Afrika etwas Grundlegendes und Essentielles; ja, es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass Fußball für sie ein Antrieb zum Leben und täglichen Überleben ist. Man muss Thielke zugute halten, dass er bei aller Euphorie nicht in ausschließliche Schwärmerei verfällt, sondern auch die Schattenseiten aufzeigt: die chaotische Organisation von Turnieren und Mannschaften oder die Korruption auf jeglichen Funktionärsebenen. Manche von Thielke geschilderte Einzelfälle können vom Leser nur staunend mit offenstehendem Mund kommentiert werden.

Einem einleitenden Prolog über das "Fußballwunderland" Afrika folgen elf Episoden aus den verschiedensten Winkeln des afrikanischen Kontinents, mehrfach unterbrochen durch äußerst gelungene Bilderserien, die die erzählten Geschichten hervorragend untermalen und illustrieren. Neben Episoden rund um die bekannten Engagements deutscher Trainer wie Berti Vogts (Nigeria) und Winnie Schäfer (Kamerun) hat Thielke auch den einstigen "Weltpokalsiegerbesieger"-Trainer Dietmar Demuth in der ghanaischen Region Ashanti besucht. (Anm. der Red.: Am 6.Februar 2002 gewann der FC St. Pauli unter Trainer Dietmar Demuth als Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga völlig überraschend mit 2:1 gegen den FC Bayern München, der wenige Wochen zuvor mit dem Weltpokal die höchste Trophäe im Vereinsfußball gewonnen hatte. Daraufhin wurden vom FC St. Pauli T-Shirts mit dem Aufdruck "Weltpokalsiegerbesieger" angefertigt, die mittlerweile Kultstatus erlangt haben.)

Die unglaubliche Präsidentschaftskampagne des einstigen Weltfußballers George Weah in Liberia zeigt auf, wie sehr in Afrika Fußballhelden von der Bevölkerung als Heilsbringer betrachtet werden. Was das vorliegende Werk jedoch besonders lesenswert macht, sind die Kapitel über die soziokulturelle Bedeutung des Fußballs in Afrika: Da ist zum einen die Erfolgsgeschichte eines Slumprojektes in Nairobi, zum anderen die Leidensgeschichte des Präsidenten des somalischen Fußballverbandes, dessen Hilflosigkeit in einem von jahrzehntelangen Kriegen geprägten Land für den Leser geradezu greifbar wird. Ebenfalls kopfschüttelnd reagieren die Leser, wenn sie über die Tragweite der Bedeutung und Existenz von Voodoo und Hexerei im afrikanischen Fußball des 21. Jahrhunderts lesen. Amüsant lesen sich dagegen die Stippvisiten bei einem Bayern-Fanclub im Herzen Ugandas und bei kiffenden Ajax-Fans in Kapstadt.

Der Leser verzeiht Autor und Verlag gerne das etwas mangelhafte Lektorat, das an einigen Stellen für Schluckauf beim Lesen sorgt, denn das vorliegende Werk liefert eine hervorragende Einstimmung auf das Großereignis im bevorstehenden Sommer. Thielke präsentiert dem Freund des runden Leders Fußballkultur in einer begeisternden Klarheit, die keine Zweifel daran lässt, ob die Entscheidung der FIFA, die WM 2010 nach Südafrika zu vergeben, richtig oder falsch war. Man begegnet einem Potential an schlafenden Fußball-Großmächten, die Jogis Jungs aktuell zwar noch nicht gefährlich werden sollten, Löws Nachfolgern in den kommenden Jahrzehnten allerdings Kopfzerbrechen bereiten werden. Die besten afrikanischen Mannschaften werden bereits beim kommenden Turnier in Südafrika in der Lage sein, an einem guten Tag jede Mannschaft der Welt zu schlagen, obgleich sich vor dem ersten WM-Titel einer afrikanischen Mannschaften die üblichen Verdächtigen Brasilien, Italien oder Deutschland sicherlich noch einige Male in die Siegerlisten eintragen werden.

Der Verlag Die Werkstatt hat zum wiederholten Male bewiesen, für Freunde von Fußball-Literatur als allererste Adresse in Deutschland zu firmieren. Wer wissenschaftlich oder kulturell angehauchte Literatur zur schönsten Nebensache der Welt sucht oder an vertiefenden Informationen zu Spezialgebieten interessiert ist, der dürfte bei den Göttingern fündig werden. "Traumfußball" jedenfalls treibt einem Tränen in die Augen, stellt man sich Kinder vor, deren Glück darin besteht, aus Abfällen und Plastiktüten ein ballähnliches Gebilde zu formen und danach einfach loszukicken.

Christoph Mahnel
06.04.2010

 
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Das Buch:

Thilo Thielke: Traumfußball. Geschichten aus Afrika

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2009
224 S., € 24,90
ISBN: 978-3-89533-641-6

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