Medien & Gesellschaft
Erschreckende Beichten aus einer scheinbar vergangenen Zeit
Kurz nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1949 wurde am 8. Februar des folgenden Jahres das Ministerium für Staatssicherheit gegründet, das den meisten Deutschen eher als "Stasi" bekannt sein dürfte. Es handelt sich dabei um den Geheimdienst der DDR, der mit Hilfe von Abhöraktionen, "inoffiziellen Mitarbeitern" (IM) und Beobachtung Oppositionelle und Regimekritiker nicht nur bespitzelte, sondern auch unter Druck setzte. Mit dem Ende der DDR - so müsste man meinen - war die Stasi von der Bildfläche verschwunden, dass dies jedoch nicht der Fall ist, zeigt der Journalist Jürgen Schreiber in seinem Buch "Die Stasi lebt. Berichte aus einem unterwanderten Land" auf.
Das Buch ist eingeteilt in 20 "Berichte", in denen nicht nur Biographien einst verfolgter Personen sowie ehemaliger Stasimitarbeiter wiedergegeben werden, sondern auch historisch bedeutsame Momente, die die einstige DDR in einem anderen Erscheinungsbild stehen lassen. Vornehmlich handelt es sich um ehemalige Staatsdienstmitarbeiter, die auch nach dem Ende der DDR keine Reue zeigen und jederzeit wieder in den Dienst der Stasi eintreten würden. Auf durchschnittlich zehn Seiten pro Kapitel erfährt der Rezipient Informatives aus dem Leben von beispielsweise der Tochter des Stasi-Mayor Sylvester Murau, die ihren eigenen Vater verriet und ihn dem SED-Regime übergab, Oberst Karl-Christoph Großmann, der nach der Wende über die Stasi auspackte, dem Politiker Alexander Schalck-Golodkowski und den beiden "IMs" Rudolf Maerker und Kurt Gailat.
Aber nicht nur diese Menschen kommen in diesem Buch zu Wort, der Autor ist auch den Spuren ehemals Bespitzelter nachgegangen, indem er Akten durchforstete und Zeitzeugen befragte. Einiges davon mag dem Rezipienten bereits bekannt sein, wenn beispielsweise der Schriftsteller Jürgen Fuchs seine Krebserkrankung als "nicht gottgewollt, sondern menschengemacht" bezeichnet - er soll im Gefängnis radioaktiv verstrahlt worden sein. Zudem werden an dieser Stelle unter anderem die Akten der CDU-Politiker Walter Leisler Kiep, Uwe Lüthjes und Helmut Kohl eingehend beleuchtet. Manches scheint dem Leser bereits bekannt zu sein, während unbekannte Details zu schockieren vermögen.
Als Grundlage für "Die Stasi lebt" dienten Jürgen Schreiber nicht nur die geöffneten Akten bekannter Personen, auch persönliche Gespräche mit ehemaligen "Staatsdienern" lassen eine scheinbar längst vergangene Zeit wieder aufleben. Mit seinem Sprachstil, der sich zwischen Journalistik und Sachbuch bewegt, wird dem Rezipienten verdeutlicht, dass die Stasi skrupellos und unbarmherzig ihren Zielen nachging, ohne sich um die Belange der DDR-Bürger zu bekümmern. Das Erschreckende an Schreibers Berichten ist die Tatsache, dass ein Großteil der Stasi-Mitarbeiter kein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Vergangenheit zu haben scheint, auch wenn sie vermutlich für so manchen Tod verantwortlich waren. Da wünscht man sich, dass sie eines Tages doch noch zur Rechenschaft gezogen werden, denn schließlich ist die Wende inzwischen 20 Jahre her.
Susann Fleischer
15.06.2009