Medien & Gesellschaft
Ein Blick auf die Unarten der Deutschen
Anlässlich des 60. Geburtstages unserer Bundesrepublik machen wir uns derzeit viele Gedanken, "Wir Deutschen", nicht zuletzt über uns selbst. Die Fragen, wie wir sind und aus welchen Gründen uns keiner mag, beschäftigen uns dabei am meisten. Mit diesem Buch liefert Martin Hecht Antworten in Form von 161 "Deutschen Unsitten", also kollektiv auftretenden schlechten Angewohnheiten, die sich aus Gleichgewichtsstörungen im nationalen Gemüt entwickelt haben, von A bis Z.
Eher von oben herab als von innen heraus blickt der Autor, der sich selbst als "Bessergestellten der bürgerlichen Mittelschicht" bezeichnet, auf die Unsitten der Deutschen. Dies tut er als guter und genauer Beobachter jedoch jederzeit souverän - auch sprachlich mit seinem recht lockeren und unterhaltsamen Darstellungsstil. Teilweise ist er dabei ziemlich frech und zaubert dem Leser ein süffisantes Lächeln auf die Lippen, wenn er etwa über die Militarisierung der Gartenwelt in Deutschland berichtet, teilweise wird er aber auch recht bösartig, wenn er zum Beispiel die großen Supermarktketten als "Palliativstationen der deutschen Kulturnation" bezeichnet.
Überhaupt scheint Hecht eine besondere Vorliebe für das Stilmittel der Übertreibung zu haben, mit dem Vergleich der Architektur von Discountern mit den Gefangenenlagern faschistischer Regime schießt er allerdings eindeutig über das Ziel - selbst im Sinne von Satire - hinaus. Ansonsten bedienen die "Deutschen Unsitten" aber auf vergnügliche Art und Weise jedes über uns verbreitete Klischee, vom Herrenschlüpfer mit Eingriff über die streichzarte Leberwurst im Golddarm, die Sonntagsfahrerei (natürlich mit Pkw-Wunschkennzeichen) und die übertriebene Wagenpflege, bis hin zu den unvermeidlichen weißen Socken in Sandalen und dem Nudelsalat als deutschem Nationalgericht.
Martin Hecht möchte uns Deutschen einen Spiegel vorhalten, der zur lehrreichen Selbsterkenntnis führen soll. Damit macht er sich jedoch selbst einer deutschen Unsitte schuldig: der Besserwisserei. Und um zu zeigen, dass es sich bei dieser tatsächlich um eine unangenehme deutsche Eigenheit handelt, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dem Autor ein schwerwiegender Fehler unterlaufen ist: Evi Sachenbacher-Stehle betreibt nämlich mitnichten Biathlonsport, vielmehr hat sie sich auf den Ski-Langlauf spezialisiert. Aber das nur am Rande.
Christian Götz
02.06.2009