Medien & Gesellschaft

Dem britischen Fußballfan aufs Maul geschaut

Colin Irwin hat mit seinem Vauxhall nahezu die komplette britische Insel bereist: vom Süden Englands mit einem Abstecher über Wales bis zum äußersten Norden Schottlands. Er hat sich dabei unzählige Fußballspiele angeschaut, sowohl Premier League-Spiele als auch Begegnungen der untersten Amateur-Ligen. Irwins Erzählungen von seiner Reise, die eigentlich eine Bestandsaufnahme der britischen Fußballfans und ihrer Fangesänge sein sollte, beinhalten die pure Romantik für denjenigen Leser, der sich dieser Tage beim Anschauen nahezu perfekter Fußballspiele in Champions League und Premier League immer wieder nach der Vergangenheit sehnt, in der Loyalität und Identifizierung mit dem Verein noch nicht durch hochkarätige Verträge erkauft wurden.

Das Buch beinhaltet zahlreiche unglaubliche und liebenswerte Episoden von Irwins Reise über die Insel. Schnell wird einem klar, dass es vielfältige Wege zu einem Lieblingsverein gibt. Es muss nicht immer nur die familiär vererbte Leidenschaft für dieselben Farben sein, manchmal kann auch der Losentscheid in Kindertagen dazu führen, dass man jedes Wochenende mehrere hundert Kilometer in Kauf nimmt, um seinen Lieblingsverein in der vierten Division spielen zu sehen.

Als Paradebeispiele im Kampf gegen die des Fußballs Seele auffressende Kommerzialisierung hat Irwin die beiden abtrünnigen Vereine AFC Wimbledon und FC United of Manchester besucht. Letzterer hat sich vor drei Jahren aus Protest gegen die Übernahme von Manchester United durch den US-amerikanischen Geschäftsmann Malcolm Glazer gewehrt, indem er kurzerhand von ManU-Fans gegründet wurde und seitdem weltweiten Kultstatus unter Fußballfans genießt.

Die Herausforderung, ein Buch aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen und dabei die Wirkung aller vorkommenden Dialekte aus den hintersten Ecken der Insel beizubehalten, hat der Übersetzer gemeistert. Für den britischen Fußballfan mag das Buch im Original allerdings noch ein wenig interessanter sein als die deutsche Übersetzung für den hiesigen Fußball-Liebhaber, da einige sehr spezifische, weil britische Details unzureichend erklärt bleiben, z.B. wie sich ein bestimmter Spieler warum auch immer in welcher britischen TV-Show auch immer zum Affen gemacht hat. Auch muss sich der deutsche Leser zunächst einmal über zwei zentrale Elemente des Buches anderweitig informieren: Was ist Bovril? Wie schmecken Wagon Wheels? Außerdem wären geographische Kenntnisse sowie regionale Sozialstruktur hilfreich, um einige beiläufig und als selbstverständlich erwähnte Rivalitäten besser verstehen zu können. Die Lesbarkeit der deutschen Ausgabe leidet ein wenig ob des geringen Abstandes des Textes zum Seitenrand. Hat der deutsche Verleger hier etwa absichtlich Layout und Design mit dem Wunsch nach weniger Perfektion im heutigen Fußballgeschäft korrelieren lassen?

Dass Irwin sehr detailliert und ausschweifend ist bei der Schilderung von Ursprung und Geschichte der den einzelnen Fangesängen zugrundeliegenden Liedern, mag für den gemeinen Fußballfan ein wenig zuviel des Guten bedeuten. Jedoch war genau dies der ursprüngliche Anlass für dieses Buch. Was den deutschen Fußballfan sicherlich überrascht, sind die große Kreativität britischer Fans in ihrem Gesang und die einfallsreiche Dichtkunst dahinter, die natürlich auch eine gehörige Portion schwarzen Humor beinhaltet: Aus dem allseits bekannten und die Namen beliebig austauschbaren „Ein Rudi Völler, es gibt nur ein Rudi Völler!“ wurde für den ehemaligen schottischen Nationaltorhüter Andy Goram, nachdem bei ihm Schizophrenie diagnostiziert worden war, kurzerhand ein „Zwei Andy Gorams, es gibt nur zwei Andy Gorams!“. Für das hiesige Event-Publikum, das jeden zweiten Sommer zu EMs und WMs auf den Platz gerufen wird, ist schließlich schon ein melodieähnliches, staccato-artiges Gestöhne zu „Seven Nation Army“ von den „White Stripes“ der Gipfel der Sangeskunst.

Jeder Fußballfan muss dieses Buch ob seiner darin vorkommenden schrägen Charaktere lieben, vor allem wenn er ein wenig von jedem davon auch in sich selbst wiedererkennt. Irwin für seinen Teil dankt und widmet sein Werk jedem, „der sich an einem eiskalten Abend im Februar aus dem Haus begibt, um sich für die Jungs auf dem Rasen die Lunge aus dem Hals zu singen.“

Christoph Mahnel
03.11.2008

 
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Das Buch:

Colin Irwin: Sing when youre winning. Großbritanniens Fußballfans, ihre Songs und eine Suche nach der Seele des Spiels. Aus dem Englischen von Henning Trolsen

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Qickborn: Trolsen Verlag 2008
310 S., € 13,90
ISBN: 978-3-9809064-8-7

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