Medien & Gesellschaft

Aus den Tagebüchern eines deutschen Fußballpioniers

Woran erinnert sich der gemeine, hiesige Fußballfan bezüglich einer Prä-Wunder-von-Bern-Epoche oder Vorkriegsfußballgeschichte? Da war Uruguay als erster Weltmeister, dann zweimal Italien, es gab ein - man glaubt es kaum - österreichisches Wunderteam und den gescheiterten Versuch einer großdeutschen Übermannschaft bei der WM 1938 in Frankreich und auch noch viele Meisterschaften und Pokale für Schalke und Nürnberg. Was sonst noch? Experten und 11Freunde-Leser mögen sich an Artur Friedenreich und Uruguays Zauberer als Doppel-Olympiasieger erinnern und an ein erstes deutsches Länderspiel gegen – natürlich – die Schweiz. Aber wer war Walther Bensemann?

Bernd-M. Beyer hatte bereits in „Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte. Das Leben des Walther Bensemann“ (Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2003) diesen als einen der bedeutendsten deutschen Fußballpioniere vorgestellt: 1889 in Karlsruhe den ersten Fußballverein Süddeutschlands gegründet, 1900 an der Gründung des DFB mitbeteiligt, in dieser Zeit dann auch die fünf „Ur-Länderspiele“ gegen englische Teams organisiert und vor allem 1920 das Fußballmagazin „Kicker“ gegründet, das auch heute –  fast 90 Jahre später –  immer noch die führende Zeitschrift des deutschen Fußballs darstellt.

Im vorliegenden Buch greift sich Beyer verschiedene Leitartikel Bensemanns aus dem „Kicker“ heraus und präsentiert dem Leser damit einen lebendigen Querschnitt des nationalen und internationalen Geschehens rund ums runde Leder für die Zeit von 1920 bis 1933. Die Leitartikel Bensemanns, hier Glossen genannt, waren berühmt und gefürchtet, bildeten sie doch die Einleitung des Textteils des „Kickers“ und waren damit an prominenter Stelle. Sie waren Nachrichten, Kommentare, Reiseberichte oder auch polemische Satiren, durchsetzt mit allerlei lateinischen, französischen, englischen oder altgriechischen Redewendungen. Bensemann behielt sich dabei die vollständige redaktionelle Freiheit vor, hier alles Mögliche auf jede erdenkliche Art und Weise festzuhalten.

Bensemanns Spielberichte wurden oft von seinen Eindrücken außerhalb der spielentscheidenden 90 Minuten umrahmt, mehr sogar machen manche Bankett- und Reiseerlebnisse den Hauptteil einer solchen Glosse aus. Bensemann galt in der damaligen Zeit als streitbarer Geist, obwohl seine Intensionen aus heutiger Sicht geradezu vorbildlich anmuten: Internationalität statt Nationalismus und Vermittlung von Fair Play, Toleranz und Selbstdisziplin.

Beyer hat die vorliegenden 44 Glossen sorgfältig ausgewählt und liefert dem Leser ein Tage- und Reisebuch aus 13 Jahren Vorkriegsfußballgeschichte. Dabei stellt er einleitend zu jeder Glosse notwendige Hintergrundinformationen bereit, die den Leser ins rechte Licht rücken. Des Weiteren beschreibt er in einem Glossar die wichtigsten Personen aus dieser Zeit wie z.B. Peco Bauwens und Hugo Meisl.

Unter den Glossen finden sich für den allgemeinwissenden Fußballfan dann doch viele bekannte Highlights der frühen Fußballhistorie, so z.B. das „unendliche Finale“ anno 22 zwischen den „Alsterleuten“ vom HSV und den „Lebkuchenleuten“ vom Nürnberger Club oder das olympische Fußballturnier in Paris von 1924, das die erste Wundermannschaft der Fußballgeschichte sah, die uruguayische nämlich mit ihrem „rechten Negerläufer“. Die letzte Glosse stammt vom 14. März 1933 und damit bereits aus der Zeit nach Hitlers Machtergreifung. Knapp zweieinhalb Wochen danach reist Bensemann aufgrund seines jüdischen Ursprungs in die Schweiz aus, wo er gut anderthalb Jahre später – vermutlich einem Herzleiden geschuldet – stirbt.

Bensemanns Erbe wird seit 2006 vom „Kicker“ in Form des Walther-Bensemann-Preises gewürdigt, erste Preisträger waren Franz Beckenbauer und Alfredo di Stefano.

Christoph Mahnel
19.05.2008

 
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Das Buch:

Bernd-M. Beyer (Hg.): Der König aller Sports. Walther Bensemanns Fußball-Glossen

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2008
256 S., € 22,90
ISBN: 978-3-89533-603-4

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