Medien & Gesellschaft
Eine gesellschaftlich höchst relevante Abhandlung über das Horst-Wessel-Lied
Bei Wikipedia steht zum Horst-Wessel-Lied: ist ein politisches Lied, das zunächst (ab etwa 1929) ein Kampflied der SA war und etwas später zur Parteihymne der NSDAP avancierte. Es trägt den Namen des SA-Mannes Horst Wessel, der den Text zu einem nicht genau geklärten Zeitpunkt zwischen 1927 und 1929 auf eine vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammende Melodie verfasste. Die Geschichte des Liedes im Nationalsozialismus verlief nicht konfliktfrei. So unternahmen die Hinterbliebenen Wessels, vor allem seine Schwester Ingeborg, erhebliche Anstrengungen, von dem Werk Wessels und seiner rasanten Karriere zu profitieren.
Um die Melodie entbrannte zudem ein Urheberrechtsstreit durch drei gerichtliche Instanzen zwischen zwei Verlagen. Eine "Kommandit-Gesellschaft" hatte ein Arrangement des Werkes ohne Text, aber unter dem Titel Horst-Wessel-Lied veröffentlicht; der Sunnwend-Verlag, der eigenen Angaben nach die Verwertungsrechte von Wessels Hinterbliebenen erworben hatte, verklagte die Kommandit-Gesellschaft daraufhin wegen einer Urheberrechtsverletzung. In der Sache musste entsprechend geklärt werden, ob Horst Wessel als Urheber nicht nur des Texts, sondern auch der Melodie anzusehen sei. Die höchste Instanz, das Reichsgericht in Leipzig, entschied schließlich am 2. Dezember 1936, dass Wessel nicht Komponist des Liedes sei.
Was den Urheberrechtsstreit vor Gericht betrifft, so hat Thomas Schaufuß ein außerordentlich fundiertes Buch verfasst. Es beschäftigt sich mit dem Prozess 1936 des Sunnwend-Verlages gegen den Verlag Helene Schaufuß KG Leipzig in aller Ausführlichkeit, mit großer Detailgenauigkeit und mit zahlreichen dargelegten Dokumenten im Anhang. Nach solch einem Buch, mit ähnlich erzählerischer Kunstfertigkeit und zugleich Wissenschaftlichkeit, sucht man lange, jedoch eher vergebens auf dem deutschen Buchmarkt. Dabei ist das Thema überaus interessant, spannend und definitiv durchaus lesbar. Schaufuß beweist das in seinem Buch auf jeder Seite, mit jedem Satz. Dabei erstaunlich, dass es dafür nicht einmal zweihundert Buchseiten braucht.
Text von der Buchrückseite:
"Die vorgelegte Untersuchung von Thomas Schaufuß ist in mehrfacher Hinsicht gewichtig: Einerseits wird mit der quellengesättigten Rekonstruktion des juristischen Streites um die Urheberrechte am Horst-Wessel-Lied in den dreißiger Jahren, der zuletzt sogar das Reichsgericht in Leipzig beschäftigte, ein Kapitel nationalsozialistischer Verlagsgeschichte plastisch sichtbar, wobei an diesem Beispiel das Funktionieren von deren Mechanismen einschließlich der Interventionsmöglichkeiten von Funktionsträgern - im hier geschilderten Fall prominent durch Joseph Goebbels - offengelegt werden kann.
Diese zum Teil direkt verwirrend erscheinende Verflechtung politischer und kommerzieller Interessen verdeutlicht, dass alle vereinfachend argumentierenden Erklärungsmuster von einer alles steuernden zentralen Macht in der Diktatur unzureichend sind, und dass sich die vom Autor herangezogene, sich maßgeblich auf Michel Foucault stützende historische Dispositivanalyse im Umgang mit diesen Vorgängen als ein tragfähiges Instrument erweist, wenn es darum geht, dieses Geschehen in ein plausibles theoretisches Modell einzubetten.
Andererseits wird ein Stück Familiengeschichte sichtbar. Denn der Autor ist der Enkel von Helene Schaufuß, deren in Leipzig ansässiger Verlag durch die hier dokumentierte juristische Auseinandersetzung 1936 in die Insolvenz getrieben wurde. Eine besondere Stärke des Buches von Thomas Schaufuß liegt darin, dass er sämtliche überkommenen Quellen, die partiell ganz privater Natur sind, mit klarem analytischem Blick prüft, für seine Vorfahren keinerlei spekulative Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsargumentationen ins Feld führt, sondern in unbestechlicher Weise alle erkennbaren damaligen Entwicklungen nachvollzieht, einordnet, gediegen kommentiert und alle daraus abgeleiteten späteren Einsichten, Erkenntnisse und Entwicklungen auch als solche ausweist."
Der Versuch eines Gesellschaftsdiskurses, der in Zeiten wie den heutigen immer noch von größter Relevanz ist
Eine Lektüre, die einen zum Nachdenken bringt - auch wenn in Thomas Schaufuß' Neuerscheinung der Gerichtsprozess um die Urheberrechte des Horst-Wessel-Liedes im Jahre 1936 im Mittelpunkt der Betrachtung steht, so ist das vorliegende Buch zugleich auch ein Gesellschaftsporträt über die NS-Zeit. Denn diese Untersuchung geschieht nicht in einem luftleeren Raum, sondern ist angereichert durch die damaligen Geschehnisse. Also etwas, das man gelesen haben muss! Selbst dann, wenn man sich eher weniger für dieses Thema interessiert. Der deutsche Autor nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise, macht das Dritte Reich ein Stück weit erlebbar und schreibt ganz in der Tradition eines Guido Knopp und anderer Schriftsteller zu diesem Thema. Was die knapp 200 Buchseiten aber so besonders macht? Ihr unterhaltsamer Wert in der ganzen Wissenschaftlichkeit. Das sorgt für jede Menge Aufhebens, aber ohne Tam-Tam!
Sachliteratur, wie sie Thomas Schaufuß mit "Der Gerichtsprozess um die Urheberrechte des Horst-Wessel-Liedes 1936" gelingt, hat Seltenheit im Bücherregal. Der deutsche Autor wagt sich an dieses brisante Thema, schreckt dabei vor der Aufarbeitung der eigenen Familienvergangenheit nicht zurück und lässt den Leser an seinem reichhaltigen Wissen teilhaben. Das Ergebnis: eine Lektüre, die einen so sehr fesselt, dass man von der Welt um sich herum nichts mehr mitbekommt. Man liest die knapp 200 Buchseiten wie im Rausch. Ein etwas anderer Geschichtsunterricht, aber auch einer, der einen mit jedem Satz begeistert!
Susann Fleischer
09.12.2024