Medien & Gesellschaft

Mit mehr als einem Schienbeinschoner im Knast

Spätestens seit den neunziger Jahren ist der Fußball ein Big Business, mit dem sich Unsummen an Geld verdienen lassen. Kein Wunder also, dass sich auf der Schattenseite dieser Entwicklung immer mehr Gestalten tummeln, die in verbrecherischer Absicht darauf hoffen, ein Stück vom großen Kuchen für sich einsacken zu können. In erster Linie natürlich die korrupten Funktionäre der FIFA und der Kontinentalverbände oder die Spielervermittler, die jungen Talenten aus Entwicklungsländern das Blaue vom Himmel herab versprechen, um sie letztlich wie moderne Sklaven auszubeuten und gewinnbringend zu verschachern. Doch soll an dieser Stelle nicht oder nur am Rande von diesen mafiösen Gangstern die Rede sein, sondern von vielen kleineren und meist individuellen Schicksalen, bei denen Fußball und Verbrechen aufeinandergestoßen sind.

Andreas Bock ist ein Journalist, der sich seit Jahren mit Leib und Seele der Erstattung von Hintergrundberichten rund ums schwarz-weiß gefleckte Leder verschrieben hat. Mittlerweile ist er angekommen im bundesrepublikanischen Olymp des Fußballjournalismus. Er sitzt nämlich in der Chefredaktion der "11Freunde", des Fußball-Magazins, das nunmehr seit über 20 Jahren so erfrischend anders über die schönste Nebensache der Welt berichtet. Bocks kürzlich erschienenes Buch trägt den Titel "Das Spiel ist aus", was zunächst an den legendären Ausruf Herbert Zimmermanns nach dem Abpfiff des WM-Endspiels von 1954 erinnern mag. Doch ist für viele der Protagonisten in Bocks Buch irgendwann tatsächlich Schluss gewesen, entweder mit dem Leben als solchem oder demjenigen in Freiheit.

Wenn der fußballkundige Leser das vorliegende Buch in die Hand nimmt, wird er bei einigen darin thematisierten Kriminalfällen aus der Fußballgeschichte wissend mit dem Kopf nicken. Natürlich kommt der von langer Stasi-Hand fingierte Unfalltod Lutz Eigendorfs in "Das Spiel ist aus" genauso vor wie der Mord an Andrés Escobar nach dessen kapitalem Eigentor bei der WM 1994 in den USA. Die verlockenden Aussichten des Glückspiels und die Möglichkeiten, aus eigenen Stücken dem Glück ein wenig nachzuhelfen, ist hierzulande eng mit den Personen des Robert Hoyzer und Vlado Kasalo verknüpft. Der eine ein korrupter Schiedsrichter, der den Glauben an den Fußball hat zusammenbrechen lassen, der andere ein ungelenker Kicker, der tatsächlich dachte, dass seine Eigentore in Serie nicht auffallen würden. Auch Unrecht findet sich im vorliegenden Buch wieder, wenn von Erwin Kostedde und den völlig aus der Luft gegriffenen Vorwürfen gegen ihn die Rede ist.

Doch Andreas Bock wäre kein Mann der "11Freunde", wenn er nur die landläufig bekannten Geschichten zusammengetragen hätte. In den insgesamt 44 Kapiteln werden selbst größte Fußball-Experten viele Fälle vorgesetzt bekommen, von denen sie noch nie gehört haben. Dies ist teilweise dem Umstand geschuldet, dass die betroffenen Kicker oder Vereine nicht zum Fußball-Establishment gehören, oder die Vorfälle sich zu grauen Vorzeiten oder in wenig beleuchteten Gegenden auf der Landkarte des Fußballs zugetragen haben. So erfährt man beispielsweise, dass der Kapitän der französischen Nationalmannschaft während der ersten Welttitelkämpfe im Jahre 1930 sich nach seiner Karriere den Nazis untertänig und Jagd auf Landsleute des Widerstands gemacht hatte, was er schließlich mit dem Leben bezahlte.

"Das Spiel ist aus" kommt als eine Art Mega-Sonderheft der "11Freunde" daher, wenn auf knapp 300 Seiten und in den erwähnten 44 Kapiteln Crime-Stories aus der Welt des Fußballs zum Besten gegeben werden. In gut konsumierbaren Happen, die größtenteils fünf bis zehn Seiten einnehmen, erfreut man sich mit des Öfteren offenstehendem Mund an den Anekdoten, in denen so manche hoffnungsfrohe Karriere jäh zerschellte. Im angenehmen Plauderton parliert der Autor, so dass einem als Leser sowohl die fußballhistorische Einordnung gelingt als auch das Nachvollziehen der kriminellen Handlung. Viele der Fälle regen darüber hinaus an, sich mittels Wikipedia und anderen Wissensfundgruben des Internets den kriminellen Brüdern noch eingehender zu widmen. "Das Spiel ist aus" ist ein gelungener Anpfiff für das neue Bücherjahr im Werkstatt-Verlag!

Christoph Mahnel 
17.04.2023

 
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Das Buch:

Andreas Bock: Das Spiel ist aus - Fußball und Verbrechen

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Bielefeld: Verlag Die Werkstatt 2023 288 S., € 22,00 ISBN: 978-3-7307-0647-3

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