Medien & Gesellschaft

Große Träume auf den Schafsinseln

Alles nahm seinen Lauf vor rund 32 Jahren, als am Abend des 12. September 1990 die Fußball-Nationalmannschaft der Färöer im Rahmen der Qualifikation zur Europameisterschaft 1992 das erste Pflichtspiel in ihrer Geschichte austrugen durfte. Da es zu Hause auf der Insel keine wettbewerbstauglichen Plätze gab, empfingen die Färöer die Nationalmannschaft Österreichs im schwedischen Landskrona. Nachdem zuvor nur über die Höhe des österreichischen Sieges diskutiert wurde, hangelten sich die Färöer von einem Teilziel zum nächsten. Immer fünf Minuten ohne Gegentor zu überstehen, das war der Matchplan. Mehr als zwölf dieser Teilziele waren schon erreicht, als Torkil Nielsen das schier Unglaubliche gelang. Mit einem strammen Linksschuss bei einem der sehr seltenen Angriffe der Mannen aus dem Nordatlantik schoss er das Tor des Abends. Die Färöer waren aus dem Nichts gekommen und platzten mit einer riesigen Sensation ins Bewusstsein des europäischen Fußballs.

Klar war natürlich, dass dieser Erfolg nicht Jahr für Jahr getoppt werden konnte. Doch hatte auch die deutsche Nationalmannschaft Anfang des Jahrtausends bei zwei Pflichtspielen gegen die Färinger so ihre liebe Mühe und Not. Nur mit Glück konnten zwei knappe Siege eingefahren und Blamagen vermieden werden. Mittlerweile tummeln sich die Färöer auf Platz 125 der FIFA-Weltrangliste. Angesichts von mehr als 200 nationalen Verbänden eine herausragende Leistung für ein Land, das gerade einmal 53.000 Einwohner hat und damit in etwa so viel Spielermaterial zur Verfügung wie Wetzlar oder Bad Homburg. Peu à peu haben sich die Färinger in den letzten drei Jahrzehnten nach vorne gearbeitet, immer wieder konnten sie Erfolge oder auch Teilerfolge verbuchen. Vor allem haben sie etliche, auch europäische Nationen hinter sich gelassen, die über weit mehr Spieler verfügen als die auf halber Strecke zwischen Schottland und Island gelegenen Schafsinseln.

Steffen Trumpf wollte diesem Geheimnis auf die Schliche kommen und hat versucht, die Färöer und ihre Erfolge im Fußball näher zu ergründen. Seine Reisebeobachtungen und Erkenntnisse hat er in dem wunderbaren Buch "Ellivu Freunde müsst ihr sein", das dieser Tage im Werkstatt Verlag erschienen ist, niedergeschrieben. Der Autor selbst besitzt offensichtlich eine gewisse Affinität zu Nordeuropa, so ist er als Auslandskorrespondent für die dpa in Kopenhagen ansässig, weshalb auch die irgendwie zu Dänemark gehörenden Färöer in sein Zuständigkeitsgebiet fallen. Rund ein ganzes Jahr lang hat Trumpf die Inseln immer wieder aufgesucht und dabei viele interessante Menschen getroffen und gesprochen. Dabei ist vor allem deutlich geworden, dass der außerordentliche Zusammenhalt der Färinger sicherlich ein Grund für deren Erfolge im Fußball ist.

Obwohl Nordlichter gemeinhin als kühl und rational rüberkommen, wohnt den Färingern ein Traum inne, dem man aus hiesiger Sicht Größenwahn attestieren möchte. Sie glauben nämlich fest daran, dass sich irgendwann einmal die Nationalmannschaft für ein großes Turnier, eine EM oder WM, qualifizieren wird. Inspiriert sind die Färinger dabei natürlich von ihrem "großen" Nachbarn Island, schließlich auch nur eine Insel mit gerade einmal etwas mehr als 350.000 Einwohnern. Doch die Färinger träumen nicht nur, sondern sie analysieren auch genau, warum sich Island 2016 und 2018 für gleich zwei große Turniere in Folge qualifizieren und bei der EM vor sechs Jahren sogar bis ins Viertelfinale vorstoßen konnte. Diese Erkenntnisse übernehmen sie für sich und ihre Gegebenheiten und arbeiten hart am stetigen Vorankommen. So wie der Autor seine Gesprächspartner durchweg als liebenswerte, kluge und strebsame Menschen darstellt, überträgt sich dieser Glaube, es tatsächlich schaffen zu können, allmählich auch auf den Leser.

Steffen Trumpf bereiste viele der 18 Inseln, von der Insel ganz im Süden mit dem ältesten Fußballverein der Färöer, der allerdings in höchster Abstiegsgefahr schwebt, bis in den Norden, wo es einen der wohl spektakulärsten Fußballplätze auf der Welt zu bestaunen gibt. Zwischendrin trifft er des Öfteren Kevin Schindler, einen ehemaligen deutschen Profi, der bei Werder Bremen und dem FC St. Pauli kickte, und nun beim Serienmeister in der Hauptstadt erst als Co-Trainer, später dann als Hauptverantwortlicher fungierte. Auch der Frauenfußball entwickelt sich stetig weiter, wie der Autor mit seinem Porträt über Lene Terp, die dänische Trainerin der Färöer-Frauen, glaubhaft machen kann. Dazu gesellen sich illustre Personen aus dem inneren Kern des Fanclubs der Nationalmannschaft oder der Reporter, der quasi alle Spiele auf den Färöern kommentiert. Darüber hinaus werden auch viele der färöischen Ausnahmespieler porträtiert, wie z.B. der erste Färinger, der in der deutschen Fußball-Bundesliga für Arminia Bielefeld spielte und dort auch sogleich ein Tor erzielte.

Das vorliegende Buch ist ein bunter Streifzug über eine Inselgruppe, deren landschaftliche Vorzüge in den vielen Bildern im Buch augenscheinlich werden, mit einer Auswahl an vielen besonderen und interessanten Menschen. Doch was einem als Leser so richtig warm ums Herz werden lässt, ist die Erkenntnis, dass auf den Färöern der Fußball noch eine reine Herzensangelegenheit ist und die Menschen dort noch dem wahren und echten Fußball verfallen sind. Streikandrohungen bockiger Spieler, um nach Barcelona wechseln zu dürfen, WM-Vergaben nach Russland und Katar oder ein mit Abermillionen aufgeblasenes Produkt Champions League, dies sind Probleme, die auf den Färöern keinen tangieren. Natürlich streben die dortigen Top-Mannschaften auch den Einzug in die zweite oder dritte Qualifikationsrunde für die Europa League an, um damit ihren Etat aufstocken zu können, aber was Steffen Trumpf auf den Schafsinseln entgegenweht, ist die wahre Liebe für den Fußball. Auch nur damit lässt sich schlussendlich erklären, warum die tapferen Mannen aus dem Nordatlantik immer wieder und immer öfter Erfolge einfahren können. Wer schöne Landschaften, außergewöhnliche Menschen und den Kern des Fußballs liebt, sollte sich schleunigst dieses wunderbare Buch zulegen.

Christoph Mahnel 
01.08.2022

 
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Das Buch:

Steffen Trumpf: Ellivu Freunde müsst ihr sein - Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder

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Bielefeld: Verlag Die Werkstatt 2022 240 S., € 24,90 ISBN: 978-3-7307-0595-7

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