Medien & Gesellschaft

Routiniertes Machwerk

Mit einem Jahr Verspätung traf sich die Jugend der Welt vom 23. Juli bis zum 8. August 2021 in Tokio zu den XXXII. Olympischen Spielen der Neuzeit. Die Verschiebung um ein Jahr war natürlich der Corona-Pandemie geschuldet. Auch wenn die Austragung in diesem Jahr anders als im Sommer 2020 ermöglicht werden konnte, litten die Spiele und insbesondere die Sportler unter der geisterhaften Atmosphäre leerer Hallen, Stadien und Arenen. Die Sommerspiele von Tokio werden als die ersten Corona-Spiele in die Geschichte eingehen, doch diese radikalen Maßnahmen waren der Preis, den die Japaner und das Internationale Olympische Komitee zu zahlen hatten. Denn nur so konnten am Ende in 339 Wettkämpfen Olympiasieger gekürt werden und Medaillen an 93 der 208 teilnehmenden Länder ausgehändigt werden.

Nach großen Sportereignissen ist dann stets Zeit für entsprechende Bücher, in denen die Wettkämpfe nachgezeichnet werden und die in den Bücherregalen sportbegeisterter Menschen ihren Stammplatz finden. Für den renommierten Werkstatt Verlag waren wieder einmal zwei "alte Hasen" am Start. Seit vielen Jahren bereits produzieren Detlef Vetten und Ulrich Kühne-Hellmessen nach Fußball-Welt- und Europameisterschaften sowie Olympischen Spielen ihre Standardwerke zu diesen Events, so auch in diesem Jahr nach den Spielen in Japans Hauptstadt. Bereits wenige Tage nach dem Ende der Spiele war "Olympia 2021: Das Tagebuch der Spiele" erschienen. In solchen Fällen ist nämlich jeder Tag Geld wert, da die Verkaufszahlen dieser Bücher mit der wachsenden zeitlichen Distanz zur Abschlussfeier monoton fallen. Inhaltlich liefern die beiden Autoren wie gehabt ab, das vorliegende Buch ist mit vielen starken Bildern durchsetzt, die Emotionen, unbändige Freue und größte Niedergeschlagenheit transportieren. Strukturell ist der Rückblick auf die Spiele von Tokio als Tagebuch in 17 jeweils sechsseitigen Kapiteln von Tag 1 bis Tag 17 angelegt. Durch diesen methodischen Ansatz eines Tagebuchs konnte die schrittweise Fertigstellung des Buches bereits während der Spiele zügig voranschreiten. Dazu gesellt sich am Ende des Buches ein sehr ausführlicher Statistikteil mit einer umfassenden Ergebnisübersicht über alle 339 Entscheidungen, der jeweils die Top Acht sowie die zugehörigen Zeiten, Weiten, Höhen oder Punkte beinhaltet.

Auf der allerletzten Seite beim Medaillenspiegel sowie schon ganz vorne im Buch auf der auf drei Doppelseiten angelegten deutschen Ehrentafel mit Bildern aller Gold-, Silber- und Bronzemedaillengewinner wird einem die aktuell sehr bedenkliche Situation des deutschen Sportes gewahr. Deutschland befindet sich im konsequenten freien Fall aus der Top Ten der Sportnationen. Mit gerade einmal 37 Medaillen, davon lediglich zehn goldenen, und Platz 9 im Medaillenspiegel bestätigte der deutsche Olympia-Tross den Abwärtstrend der letzten Spiele. So wirken die zehn Bilder der deutschen Olympiasieger auf der dafür vorgesehenen Doppelseite recht verloren, etwas gepackter wird es erst auf der dritten Doppelseite mit den 16 Bronzemedaillen-Gewinnern. Folgerichtig thematisieren Vetten und Kühne-Hellmessen bereits in ihrer Einleitung die deutsche Sportkrise.

Nichtsdestotrotz hatten die Spiele von Tokio viele Highlights zu bieten, auch aus deutscher Sicht. An erster Stelle wird man dabei wahrscheinlich an Malaika Mihambo denken, die als Topfavoritin im Weitsprung der Frauen in einem an Dramatik kaum zu überbietenden Wettbewerb erst mit ihrem allerletzten Sprung ihrer Favoritenrolle denkbar knapp gerecht werden konnte. Und an einen Sportler, der bisher eher als Ich-AG und damit als Gegenentwurf eines idealistischen Olympioniken aufgetreten war: Alexander Zverev hatte scheinbar den olympischen Geist in sich aufgesogen und war davon derart beflügelt worden, so dass er mit herausragendem und begeisterndem Tennis den unbezwingbaren Novak Đoković im Halbfinale besiegen und anschließend im Finale des Herren-Einzels souverän die Goldmedaille gewinnen konnte. Zusammen zieren beide das Titelbild des vorliegenden Buches.

Natürlich kennt Olympia nicht nur die märchenhaften Erfolgsgeschichten, sondern ist gleichermaßen reich an sportlichen und menschlichen Dramen. Mit der US-Turnerin Simone Biles und der japanischen Tennisspielerin Naomi Ōsaka scheiterten zwei Heldinnen ihrer Sportarten an zerbrechlichen Nervenkostümen und zogen damit entsprechende Diskussionen über die Unmenschlichkeit des Leistungsdrucks im Sport und die gnadenlose Berichterstattung in den Medien nach sich. Den ganz großen Schatten über Olympia 2021 in Tokio warf allerdings unzweifelhaft die Corona-Pandemie. Nahezu keine Zuschauer bei den Wettbewerben sorgten für skurrile Bilder, obgleich man natürlich nach anderthalb Jahren Corona schon ein wenig daran gewöhnt ist. Dies zeigen auch die im vorliegenden Buch fehlenden Bilder, so finden sich keine Aufnahmen von einem Bad in der Menge nach dem Gewinn der Goldmedaille, keine Bilder euphorisierter Fans, die die Sportler mit ihren Anfeuerungsrufen über die Leistungsgrenzen hinweg getragen hätten. Dementsprechend schließt auch das Tagebuch von Detlef Vetten und Ulrich Kühne-Hellmessen mit dem Kapitel zum 17. Tag treffend mit der Überschrift: "So nicht noch mal". Dies ist zum einen auf das enttäuschende Abschneiden des deutschen Olympia-Teams in den Mannschaftsportarten gemünzt, aber auch auf das Austragungsformat der Spiele, die als Corona-Event hoffentlich als eine einzigartige Ausnahme in die Annalen eingehen werden.

Christoph Mahnel 
25.10.2021

 
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Das Buch:

Detlef Vetten, Ulrich Kühne-Hellmessen: Olympia 2021. Das Tagebuch der Spiele

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2021 176 S., € 18,00 ISBN: 978-3-7307-0499-8

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