Medien & Gesellschaft

Kick it like Wolf!

Niko Reislöhner, Fotios Katidis und Marius Wolf eint ein Traum, ein großer Traum. Es auf die Bühne des Profi-Fußballs zu schaffen, mindestens in die zweite oder dritte Liga, vielleicht sogar in die erste oder wenn alles perfekt läuft, irgendwann einmal das Nationaltrikot überzustreifen. Dafür geben die drei Jungs aus dem Frankenland alles. Geboren Mitte der Neunziger sind sie Nutznießer der Anfang des Jahrtausends bundesweit etablierten Nachwuchsleistungszentren, kurz NLZ, zu deren Aufbau und Unterhaltung alle Vereine der ersten und zweiten Bundesliga verpflichtet sind. Natürlich wechseln sie ob herausragender Leistungen in ihren Heimatvereinen schnellstmöglich in ein NLZ, um bei der Verlosung späterer Arbeitsplätze als Profi-Fußballer ein Plätzchen in der Lostrommel eingenommen zu haben. Denn schiere Mathematik macht einem rasch klar, dass bei der Unmenge an Kandidaten und den überschaubaren Kaderkontingenten der deutschen Profi-Klubs das ganze Unterfangen tatsächlich einer Lotterie gleichkommt.

Ronald Reng als den herausragenden deutschen Fußballautor der Gegenwart zu bezeichnen, dagegen lässt sich nur schwer argumentieren. Seinen Durchbruch schaffte der 1970 in Frankfurt geborene Reng vor knapp zwei Jahrzehnten mit seiner Geschichte über das Fußballmärchen von Lars Leese, dem deutschen Amateur-Torwart, der es völlig unverhofft bis in die englische Premier League schaffte und dort mit seinem Team sogar einen heldenhaften Sieg an der Anfield Road gegen den FC Liverpool feiern durfte. Nach "Der Traumhüter" folgten vielbeachtet die Biografie Robert Enkes und "Spieltage", eine Geschichte um Heinz Höher und über ein halbes Jahrhundert Fußball-Bundesliga. In der jüngeren Vergangenheit hat er sich mit "Mroskos Talente" der Spielerberaterbranche gewidmet und in seinem bis dato letzten Werk "Miro" dem deutschen Rekordtorschützen im Nationaltrikot.

Nun ist "Der große Traum" erschienen, die Geschichte von Niko, Foti und Marius auf ihrem Weg nach oben. Dazu hat Ronald Reng die drei Heranwachsenden mehrere Jahre lang begleitet. Die Idee zu diesem Buchprojekt hatte Petra Steinhöfer an Reng herangetragen, die Mutter eines Bundesligaprofis, die eine eigene Agentur für junge Fußballer gegründet hatte und die drei Jugendlichen bereits betreute, bevor sie im Anschluss an eine Lesung Reng ansprach. Zu Beginn stachen Niko, Foti und Marius in ihren Mannschaften und Ligen heraus und überragten ihre Mitspieler und Gegner um Längen, doch mit jedem neuen Jahr wurde die Pyramide aus denjenigen, die erfolgreich den nächsten Schritt gegangen sind, immer schmaler. In den NLZ von Nürnberg, Ingolstadt oder München befanden sich lauter hungrige Jungs, die denselben Traum leben wollten wie die besagten Drei.

Reng bietet im vorliegenden Buch Einblicke in die deutschen Fußballkaderschmieden, die einen als Außenstehenden teilweise schockiert zurücklassen. Doch wer große Träume träumt und den Jackpot anstrebt, muss naturgemäß auch mit großer Wahrscheinlichkeit herbe Rückschläge hinnehmen oder gar das endgültige und vernichtende Urteil über sich ergehen lassen, wenn die Fußballweisen einen für zu leicht befunden haben. Leider erfüllen nicht alle NLZ angemessene Qualitätskriterien in Sachen Personal, wenn unter Leistungsdruck stehende, unterbezahlte Jugendtrainer dabei zu Maßnahmen greifen, die äußerst grenzwertig daherkommen und viele der jungen Spieler bereits in frühem Alter vor Extremsituationen stellen. Im Falle Niko Reislöhners war eine derartige Erfahrung womöglich der Wendepunkt, an dem sein Unterfangen auf den Weg des Scheiterns einbog. Ronald Reng vermag es gekonnt, den Leser mit den drei Jungs mitbangen und mithoffen zu lassen.

Bekanntlich hat es mit Marius Wolf zumindest einer der Drei geschafft. Mittlerweile ist er immerhin bei Deutschlands 1b-Adresse angekommen und hat sich definitiv in der Bundesliga etabliert. Somit war Rengs Buchprojekt aufgrund dieser Entwicklung ein Glücksfall, da es sehr gut illustriert, welche Kleinigkeiten letztlich darüber entscheiden, ob ein hochtalentierter Fußballjünger den Olymp erreicht oder beim Anstieg scheitert. Reng führt übermütigen Eltern eindringlich vor Augen, was die Entscheidung, den Filius auf ein NLZ zu schicken, schließlich bedeutet; in der Regel mehr Leid als Freude, somit viel Seelenmassage und dazu ein immenses zeitliches Investment. Nach einem emotionalen Auf und Ab über mehr als 500 Seiten haben am Ende glücklicherweise alle ihren Seelenfrieden gefunden, unabhängig von Ruhm oder millionenschweren Konten.

Christoph Mahnel 
11.10.2021

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Ronald Reng: Der große Traum. Drei Jungs wollen in die Bundesliga

CMS_IMGTITLE[1]

München: Piper Verlag 2021 528 S., € 22,00 ISBN: 978-3-492-07099-7

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.